On a totally different note

Ich möchte mit Ihnen über Politik sprechen. Naja, ich weiß, dass das keiner mehr möchte, insbesondere ich nicht, da ich beruflich an einzelnen Stellen mehr Politik erleben durfte in den letzten Monaten, als ich mir jemals gewünscht hätte. Wenn man sich die Gesamtgemengelage ansieht, macht das aber vermutlich keinen Unterschied, ein gewisses Maß an Überdruss gibt es ja allerorts zu beobachten momentan. Ich möchte auch gar nicht über einzelne Entscheidungen oder Prozesse oder gar Entwicklungen sprechen, Sie haben die ja alle live miterlebt und sicherlich ganz eigene Meinungen. Ich möchte vielmehr noch einmal strukturiert aufschreiben, was ich an „dem politischen Amt“ an sich so schlecht finde, und natürlich habe ich überhaupt keine Lösungsansätze, und das ist mein gutes Recht, ich habe nämlich gar kein politisches Amt und muss deshalb nix lösen.

Ich habe ja in der Vergangenheit schon zwei drastische Änderungen des politischen Systems vorgeschlagen, die beide natürlich überhaupt gar nicht umsetzbar sind. Eines sollte dazu dienen, den Entwertungsprozess akademischer Qualifikation aufzuhalten, indem wir einfach verbieten, dass Politiker einen Doktortitel tragen, der ihnen beim Plakatekleben die Leiter stabilisiert, but who has the time, man klebt ja Plakate, dann schreibt es halt einfach jemand anderes (Guttenberg) oder ich schreib es selbst aber schlecht (alle anderen). In Pandemiemonat 140 ist mein größtes inneres Anliegen ja gar nicht mehr die Reputation der deutschen Forschungslandschaft, man kann ja nicht alles retten, jetzt wäre eventuell gut, wenn Politik weniger mit Machterhalt und Partikularinteressen zu tun hätte, als mit der Sicherung der Lebensbedingungen der Bürger des Landes. Dazu hatte ich ja einst die zweite Idee, nämlich dass politische Ämter pro Bono geleistet werden sollten, quasi wie Vorstand im Elterninitiativkindergarten oder Gutachter für irgendwelche Gremien. Wenn Politiker nur noch eine Funktion wäre und kein Job, dann könnten alle einfach so entscheiden, wie sie mögen, und am Ende wird man abgewählt und wird wieder Lehrer oder Rechtsanwalt. Klar, funktioniert auch nicht, aber Sie sehen den Punkt. Fähnchen im Winde muss man ja nicht sein, wenn die eigene Existenz nicht von der Gunst der Wähler*innen abhängt.

Heute ergänze ich meine Liste realitätsferner Vorschläge zur Umstrukturierung des politischen Systems um einen weiteren wichtigen Punkt: Minister müssen Fachleute in ihrem Gebiet sein. Und das kam so.

Ich werfe mal das Wort AstraZeneka in den Raum (oder – für die Nordrhein-Westfalen im Raum AntraZeneka). Ich habe zu dem Vorgang eine Meinung, auch die ist allerdings von Partikularinteresse gefärbt, deshalb tut die nichts zur Sache. Dass Herr Spahn in der Causa so furchtbar unter Beschuss geraten ist, hielt ich allerdings, soviel darf ich sagen, für unangemessen, denn: Er konnte das ja gar nicht anders entscheiden, als dem PEI zu folgen. Und an dieser Stelle könnte ich aufhören zu schreiben.

Wäre es nicht so gewesen, dass Karl Lauterbach, ein Mann, bei dem ich nicht unter Verdacht stehe, dass ich ihn vor der Pandemie besonders überzeugend gefunden hätte, in exakt jeder Talkshow der letzten Woche zu verstehen gegeben hätte, dass er sich über die Empfehlung hinweggesetzt und die Impfungen vorerst nicht ausgesetzt hätte. Ob das im Ernstfall so gewesen wäre, ist noch mal eine völlig andere Frage, klar. Denn bislang hat es anscheinend glücklicherweise 12 Monate niemand geschafft, ihn zur Räson zu rufen, auch nicht mit einer gemeinsamen Bundespressekonferenz mit dem Minister, deshalb kann er einfach sagen, was er denkt, ob das als Minister noch so wäre, bliebe abzuwarten. Und das ist ja eine erfrischende Abwechslung. Aber mein Punkt ist der: Er ist vom Fach. Er kann das, was man ihm rät, selber abwägen, einordnen, zu 100 Prozent verstehen und sich dann auch dagegen entscheiden. Ich rutsche kurz rüber in ein politisches Gebiet, das mir näher liegt. Ich wäre ja (meines Erachtens) eine hervorragende parteilose Bundesbildungsministerin. Aus folgendem Grund (und nein, ich würde das im Leben nicht machen, keine Sorge). Ich habe in Deutschland studiert, ich war in Deutschland kurz Doktorandin, und ich habe in Deutschland als Professorin in dem Wahnsinn gearbeitet. Zwischendrin war ich allerdings jahrelang an ausländischen Universitäten beschäftigt, und zwar an denen, die den Ruf haben, bestens zu funktionieren und weltweit ihresgleichen suchen. Ich weiß also, wie ein funktionierendes System aussieht, und ich weiß, wie es in Deutschland aussieht. Ich habe Erfahrung von innen.

Jetzt können Sie sagen „ja, aber auch fachfremde Minister haben ja Berater, die beraten sie dann halt.“ Ich stelle mir das so vor: Die Bundesbildungsministerin trifft sich bei Sekt und Häppchen mit sechs Universitätsrektoren. Drei sagen ihr, sie solle aus den folgenden TOTAL PLAUSIBLEN Gründen nach links gehen, drei sagen ihr, sie solle aus den folgenden TOTAL PLAUSIBLEN Gründen nach rechts gehen. Die Aufgabe einer Führungsperson der Besoldungsstufe B11 ist dann, anschließend zu sagen, ob die Nation links, rechts oder – tadaaa – geradeaus gehen soll. Und diese Entscheidung muss dann verantwortet werden. Von der Person. Dazu ist allerdings nötig, dass diese Person komplett verstanden hat, worum es geht, jedes Detail durchdrungen hat und mit dem eigenen Hintergrundwissen so lange abwägt, bis sie weiß, was zu tun ist, und das muss dann getan werden, und wenn das dann schiefgeht, muss die Person das verantworten, weshalb es wieder sehr von Vorteil ist, wenn man nicht auf Gedeih und Verderb davon abhängig ist, dass B11 am Monatsende ausgezahlt wird (oder war es am Monatsanfang? Ich weiß es nicht mehr, ist lange her), im Zweifelsfall muss man ja sein Handeln selber verantworten und entsprechend weggehen.

Zurück zu AstraZeneca. Spahn konnte nicht anders entscheiden, denn er hat nicht das Rüstzeug, selber solche Entscheidungen zu treffen. Lauterbach hätte anders entschieden, und es ist für den Punkt total unwichtig, ob das richtig oder falsch gewesen wäre. Ich erwarte von Politiker*innen in einem Amt mit Entscheidungsbefugnis, dass sie in der Lage sind, eine Entscheidung aufgrund ihres Wissens zu treffen, Berater zu verstehen und ohne sich hinter anderen zu verstecken durch Krisen steuern zu können. Ich erwarte auch, dass sie die Verantwortung für diese Entscheidungen alleine tragen. In Unternehmen ist das übrigens nicht anders. In meinem Zwischenspiel als Vorständin lief es exakt so. Man hört sich alle Seiten an und entscheidet letztendlich das, was man für genau richtig hält. Wenn man alles gehört und verstanden hat. Und dann trägt man die Verantwortung für diese Entscheidung. Das Risiko ist übrigens sowohl mit dem Vorstandsgehalt als auch mit B11 abgegolten.

Ich würde mir also für die Zukunft wünschen, und das sag ich mal in Richtung von Robert Habeck, damit der das schon mal durchdenken kann: Ein Kabinett sollte meines Erachtens nicht so gebildet werden, dass man eine kleine Handvoll hochrangiger Berufspolitiker hat, und am Ende sagt einer „Oh, der Jens hat noch kein Amt“, und schwupps, ist der Jens Gesundheitsminister. Oder „oh, da ist noch eine Hotelfachfrau ohne Amt, das BMBF ist noch frei, da kann man ja auch nix falschmachen, wegen des Föderalismus“. Justizminister sind ja auch irgendwie oft Juristen, wenn ich das richtig verfolgt habe. Und das Verteidigungsministerium könnte ja zum Beispiel eine Frau leiten, die mal bei der Bundeswehr war. Aber jetzt übertreibe ich.

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