Meine Mutter sitzt gerade in der Küche, ich habe mich „aufgrund wichtiger beruflicher Verpflichtungen“ ins Wohnzimmer gesetzt, blogge ein bisschen und gucke dabei angestrengt wie eine Managerin. Da fallen immer alle drauf rein. Meine Mutter ist eigentlich ein sehr guter Mensch, hat aber eine kleine Eigentümlichkeit, die ihr Umfeld in den Wahnsinn treiben kann: Das Wiederholen von Themen, gerne über Jahre. Ach. Jahrzehnte.
2003 sind meine Eltern aus meinem Elternhaus in eine Wohnung gezogen, ländlich, alles schön, ich hätte mir gewünscht, in einer solchen Wohnung zu wohnen im Alter. Vor dem Haus war eine Bus-Endhaltestelle, und dieses Thema haben wir insgesamt 17 Jahre bei jedem sich bietenden Anlass besprochen. Dass dem Busfahrer nachts kalt ist und er darum den Motor laufen lässt, okay, aber man schläft ja doch sehr schlecht mit so einem Bus vor dem Schlafzimmerfenster, und der eine Busfahrer hat eine Affäre, die Dame kommt immer im Opel Corsa zu der 30 minütigen Pause, manchmal macht er dann im Bus das Licht aus. 17 Jahre. Manchmal war das mit dem Bus sehr schlimm, manchmal war es gut, manchmal war es mittel, immer musste aber über den Bus gesprochen werden. In der neuen Wohnung sprechen wir über die Tür zwischen Wohnzimmer und Flur. Immer. Täglich.
Deshalb spreche ich schon wieder über Schule. Ich bin meine Mutter. Vermutlich bin ich an dem Punkt schon lange vorbei, an dem ich noch erklären muss, dass ich es ausgesprochen richtig finde, dass die Schulen zu sind. Gestern fand ich ja auch sehr erfreulich, dass es Distanzunterricht jetzt wirklich gibt, also dass Ona von 8.15 bis 13.30 vor dem Laptop sitzt und dort beschult wird. Von Lehrern. Ich fand das super, Ona fand das super, sein Tag hatte Struktur, ich habe höchstentspannt gearbeitet, er war ja in seinem Zimmer und hatte Schule, ich musst auch nix erklären oder tun. Es war alles sehr gut.
Heute hat die erste Lehrerin beschlossen, dass die Kinder ja voll überfordert sind, wenn sie den ganzen Tag „vor dem Bildschirm“ sitzen, also gibt es für Latein jetzt wieder Arbeitsblätter. Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Ich bin sehr enttäuscht. Morgen also schon nur noch 2 von 6 Stunden Distanzunterricht, Rest Arbeitsblatt. Wenn demnächst die aktuelle Situation überstanden ist, kann ich allerdings sagen: Ich hatte einen ganz guten Tag im Januar.
Das Projekt der Wiedermenschwerdung läuft dennoch wie auf Schienen. Ich habe Arzttermine vereinbart und erwäge sogar, diese wahrzunehmen, ich arbeite genau das, was ich arbeiten muss, (und dennoch ist irgendwie alles gleich, was mir zu denken gibt, ich aber auch darauf zurückführe, dass die Kund:innen alle ähnlich ausgebrannt sind und genau so prokrastinieren wie ich), schlafen kann ich noch immer nicht vernünfig, aber das wird jetzt gekontert mit viel Waldbaden, das macht ja müde, sagt man.
Der Hund lässt übrigens ausrichten: Der Frühling naht. Heute im Wald deutlich fühlbar, habe ich ja die Sorte Hund, der im Normalfall 100% hört und mitdenkt, heute wurde allerdings über Gebühr Quatsch gemacht, das deutet auf nahenden Frühling hin. Es gab sogar Situationen, in denen ich zweimal böse gucken musste, wer meinen Hund kennt, erschaudert an dieser Stelle. Unsere normale Hunderunde ist 8 Kilometer lang, mit einigen Höhenmetern Unterschied. Ich brauche dafür 2 Stunden (inklusive Ballspielen, Waldbaden und was man so macht als Hund), Ona joggt die Runde normalerweise, ist dann nach 40 Minuten wieder da und kann schneller wieder im Bett rumhängen. Leider haben wir mit dem Hund den gleichen Fehler gemacht wie mit dem Kind: Man kann sie nicht müdespielen, man kann nur Kondition aufbauen. Und wenn man jetzt also so viel Zeit mit so einem gut gelaunten Hund im Wald verbringen muss, dann wäre es mir auch ganz recht, wenn wir jetzt einfach wieder Frühling machen könnten. Wie zu Beginn des letzten Lockdowns. Da haben wir ja den Garten gepflegt. Ach verdammt, Hochbeete gebaut hab ich ja schon.
Ansonsten habe ich die gesamte Haushaltsführung wieder in die Hände des 11Jährigen gegeben, was an Tag 2 noch sehr gut funktioniert. Ich konnte noch abwenden, dass er sich zum Frühstück 6 Kartoffelknödel kocht (getauscht gegen Müsli, enttäuschtes Gesicht in Kauf genommen), ansonsten gab es Rührei zum Mittagessen und Nudeln mit Tomatensoße zum Abendessen. Blaubeerpfannkuchen zum Nachtisch. Ich will nicht hoffen, dass er sein gesamtes Pulver heute schon verschossen hat. Ich befürchte nämlich, ein bisschen Pandemie ist noch.
Mother (Tori Amos)