Kidding?

Sitzen Sie gut? Ich saß nicht gut und musste entsprechend unsouverän reagieren.

Als Mutter eines Kindeleins ist man ja an vielen Stellen abgehärtet, wie es sich 2021 gehört, wurde ich heute jedoch sehr überrascht. Jonathan kam mit einem Stapel Papier in die Küche und sagte: „Bitte einmal alles unterschreiben“, und da ich das aus dem beruflichen Umfeld kenne, reagierte ich spontan und unterschrieb den Englisch Vokabeltest, den Latein Vokabeltest, dann war die Laune sehr gut und ich unterschrieb ohne zu zucken irgendeine sinnlose DSGVO Abfrage, dann kam eine Liste von Dingen, die für die nächste Klassenfahrt benötigt werden, wovon wir übrigens exakt gar nichts besitzen, die musste nicht unterschrieben, wohl aber zur Kenntnis genommen werden, und dann kam der Zettel mit der Erklärung, blablabla Klassenfahrt, bitte Montag abgeben, sofort überweisen. Festhalten: 435,- Euro.

Für eine Klassenfahrt in der 7. Klasse. Mitten in der Pandemie. Skifahren, wo sonst nur die Royals urlauben.

Wir können das abkürzen. Die haben doch nicht mehr alle Latten am Zaun. Und ich möchte das kurz einordnen: Ich kann das bezahlen, auch mit 0 Tagen Vorlauf am Montag. Aber. 435 Euro für die Klassenfahrt. Die Bitte, eine Reiserücktrittsversicherung separat abzuschließen, falls das Kind nicht mitfahren kann, ist ja Pandemie. Eine Liste von Dingen, die auf der Fahrt mit müssen, bestehend aus Skihose, Skijacke, 2 Paar Skihandschuhen, Skibrille und Skihelm, Skier und Stiefel können netterweise geliehen werden für irgendeine Leihgebühr, und bitte 50 Euro Taschengeld.

Ich möchte mich an dieser Stelle wiederholen. Ich kann das bezahlen und werde das gegen alle inneren Widerstände auch tun. Aber ich bin so in Rage, wie es sonst nur noch die deutsche Politik schafft, ich habe nämlich kurz im Kopf überschlagen (und nein, ich werde nicht die Aldiaktion abwarten können, mein Kind ist nämlich körperlich ein sehr dünner Erwachsener, wir müssen alles ganz akribisch suchen, damit es passt, und das ist leider nie in irgendwelchen Discounteraktionen zu finden), der Spaß wird etwa 800 Euro kosten. Für eine Klassenfahrt. Ich bin ja 1988 in der 7. Klasse die Eifel gefahren, das hat 80 Mark gekostet. 2021 fährt mein Kind in der 7. Klasse quasi nach St. Moritz, und das kostet 1.600 Mark. Und wissen Sie was: Mein Kind möchte nicht Skifahren. Nichts in dieser Familie sagt Skifahren. Wir werden die Ausrüstung kaufen und danach verbrennen, damit alle Möglichkeiten, irgendwann noch mal Ski zu fahren, ausgeschlossen sind. Ski interessiert hier niemanden, mein Kind möchte Handball spielen und tauchen. Wobei ich ja antizipiere, dass die Klassenfahrt in der 9. Klasse in die Südsee geht, dann kann er das ja da machen. Ski ist kacke, und ich respektiere alle Menschen, die das anders sehen, das muss auch nicht in den Kommentaren diskutiert werden. Für mich ist Ski kacke, wir sind 10 Jahre aus Umweltgründen nicht geflogen, wir unterstützen also auch die Skiindustrie nicht. Dieses Jahr sind wir geflogen, das muss erst mal wieder grüngewaschen werden (E-Auto kommt!). Außerdem, ich weiß nicht, ob Sie es wussten, IST DA DRAUSSEN EINE SCHEISSPANDEMIE, was übrigens dazu führt, dass nach den 12 Stunden Busfahrt zum Zielort das Kind von den Eltern abgeholt werden muss, sollte es zu einem positiven Fall in seinem Zimmer kommen.

Long story short. Ich bin nicht Fan. Ich kann mir auch nicht gut erklären, welcher Mensch auf die Idee kommt, dass es sinnvoll ist, mit Kindern aus NRW in Hintertupfingen Skifahren zu gehen. Ich kann mir auch nicht erklären, wie die Familien das machen, die eventuell Zwillinge in der 7. Klasse haben und nicht irgendwo einen Topf, aus dem man mal kurz 1.600 Euro nehmen kann, die Kinder müssen ja auf Klassenfahrt. Ich kann mir auch nicht erklären, wie Pädagogen zu dem Entschluss kommen können, dass das für Kinder irgendetwas tut, was nicht jede andere Jugendherberge auch könnte. Die sind 12. In der 5. Klasse war er in Bacharach, sie wohnten in einer Jugendherberge im Schloss, durften OHNE LEHRER eine Stadtrallye machen, die Urkunde hängt noch an seiner Wand, so toll fand er das, und wenn ich ihn frage, was er am besten fand an der Klassenfahrt, sagt er: „Abends heimlich wach bleiben und flüstern“. Das wird mit 12 nicht anders sein als mit 10, außer vielleicht, dass sie heute heimlich Gangsterrap vor dem Einschlafen hören. Und das hätte man eventuell auch in der Jugendherberge in Ratingen machen können. Da könnte ich ihn auch sehr gut wieder abholen, wenn dann alle COVID haben.

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