It ain’t me, babe

Es ist ja wirklich ausnahmslos alles nur noch schlecht, aber ich bin kurz davor, im Rahmen einer depressiven Periode das dann wieder genießen zu können. Zum eigenen Elend gesellt sich ab morgen, der Anruf ist verschoben (ich will meinen Schwestern eine faire Chance für das Erstgespräch einräumen), noch das Elend meiner Mutter, Hase hat Schluss gemacht.

Ich werde Ihnen jetzt nicht die Details der Whatsapp erzählen, das ist nämlich auch egal. Fakt ist: Ich habe heute eine sehr wichtige Sache verstanden. Und das ist traurig, aber für mein weiteres Leben wichtig. Und zwar.

Es ist scheißegal, ob man 14, 44 oder 78 ist. In Liebesdingen lernt man nichts dazu und ist immer 14. Anders kann ich mir weder Hase noch Schnecke noch mich noch irgendjemanden erklären.

Und das ist doch eigentlich tragisch. Ich wollte eigentlich heute über Bob Dylan schreiben, das macht man am 24. Mai gerne so, und es gibt tatsächlich – auch wenn ich nie blutiger Fan war – ein paar Dinge, die ich zu Dylan zu sagen hätte. Dummerweise passt das, was ich sagen wollte, sowohl zum Datum, als auch zum Stadium des Liebeslebens meiner Mutter. Dass ich das mal sagen müsste.

Wie gesagt, ich bin kein Wahnsinnsfan, kann aber sagen, dass die absolut überwiegende Mehrheit der Männer, die in meinem Leben eine Rolle gespielt haben, Dylan Fans waren. Ich kann es vermutlich so formulieren: Ich hatte zeitlebens einen deutlich größeren Zug zum Dylanfan als zu Dylan selbst. Nichtsdestotrotz hat ein Dylan Song es auf Platz 2 meiner Liste geschafft. Ich habe eventuell in einem noch sehr formbaren Alter zuviel Nick Hornby gelesen, jedenfalls habe ich vor 20 Jahren anlässlich einer tiefen Lektüre von High Fidelity verstanden, dass eine der wichtigsten Sachen im Leben die Anfertigung der Top Ten Songs Liste ist. Ich tue mich aber auch seit 20 Jahren damit sehr schwer, es ist ein ongoing project. Gerade die hinteren Plätze sind fragil, nicht zwingend, weil noch Lieder dazukommen, sondern in erster Linie, weil ich kein Lied übervorteilen möchte, und in einzelnen Fällen, also eigentlich in exakt zwei Fällen, bin ich ja Fan des Gesamtwerks, da ist es sehr schwierig, entscheiden zu müssen, welches Einzelstück das Gesamtwerk vernünftig repräsentiert. Da kann man sich schon mal 20 Jahre mit beschäftigen.

Ein Platz hat sich allerdings in den ganzen 20 Jahren nicht verändert, und das ist Platz 2. Auf Platz 2 befindet sich ein Lied, von dem ich seit IMMER denke, dass kein Lied auf der Welt mich jemals besser abbilden könnte. Und das ist dieses hier. Das bin ich.

Als Lied.

Dieses Lied hat alles, was ein Lied für mich haben muss. Für die Botschaft hatte ich mehr als einmal Verwendung, meine traurige Lebensleistung, so stellte ich heute im laientherapeutischen Gesprächsrahmen fest, auf romantischem Gebiet ist in Jahr 44 noch immer gleich Null, das klingt traurig, ist aber für mich fein, ich hatte ja nach dem Vorbild meiner Mutter fest damit gerechnet, dass ich im hohen Alter vielleicht mal jemanden treffe, der das alles raushaut. Und jetzt das, auch uninteressant. Zurück zum Lied. Ich bin botschaftentechnisch nämlich in Zeile 2 schon so abgeholt, dass ich da gar keine Worte mehr habe. „Go away from my window, leave at your own chosen speed“, wie deutlich und konkret in der Aussage, wie schön zugewandt und mit Gefühl von Gestaltungsspielraum. Ich finde das absolut hervorragend, sehr elegant. Ich bin, jaja Frevelfrevelfrevel, keine besonders große Freundin von Dylans Stimme, vermutlich, weil ich ja gar keine Ahnung habe, wie jetzt alle Dylanfans weltweit im Chor singen werden, aber die Kombination aus Text und der uninteressiert-gelangweilten Vortragsweise… ich wünschte, ich könnte jemals so gelangweilt klingen. Als (Ex-)Musikerin kommt bei mir häufig noch eine andere Ebene der Bewertung hinzu, nämlich wie ich mich fühle, wenn ich etwas singe. Und es gibt nur sehr wenige Lieder, die ich mit solcher Inbrunst schmettere wie dieses, und richtig laut im Auto brüllen „a lover for your life and nothing more, it ain’t me, babe, no no no it ain’t me, babe, it ain’t me you’re looking for, babe“ ist ähnlich befreiend wie eine Nacht mit einem Dylanfan.

Dummerweise bin ich allerdings deutlich mehr Baez als Dylan, auch wenn mir das nur schwer über die Lippen geht. Die paar Male, die ich It ain’t me, babe zum Besten gegeben habe, sind vollkommen unerinnert, ich bringe diese passivaggressive Langeweile in der Singstimme nicht mit. Stattdessen habe ich den Kontersong von Baez meine gesamte Jugend und auch noch weit darüber hinaus auf allen Familienveranstaltungen und Hausmusikevents gepiepst, und das kam immer hervorragend an. Ob es jetzt an meiner stimmlichen oder Gitarrenleistung lag, oder eher daran, dass ich diese scheues-Reh-Opferrolle gut kann oder – nicht auszuschließen – einfach an der Tatsache, dass meine Mutter und Joan Baez in den 70ern wie eineiige Zwillinge aussahen… ich weiß es nicht.

Aber sehen Sie selbst.

Ich habe das Lied bestimmt 1000 Mal gespielt, nie ohne ein gewisses Fremdschämen, so ein Lied für den Ex zu schreiben… irgendwie unelegant. It ain’t me babe ist zwar 10 Jahre vorher geschrieben worden, ich finde die Kombination von beiden aber sehr, naja, interessant. Lustig. Ich fühle Dylan, aber ich singe Baez. Irgendwas ist ja immer.

2006 war ich mal bei einer Kollegin auf einer Party in Woodside eingeladen, sie war die Nachbarin von Baez, wohnte im Berg eine Serpentine drüber. Bis dahin war mir gar nicht klar, dass Baez noch lebt, aber warum auch nicht. Schon klar. Ein Jahr später saß ich mit ihr am Flughafen, sie trug einen gebatikten Schal, wir warteten auf den Flug nach Amsterdam. Zwei Stunden saß sie dort völlig unbehelligt, ich weiß gar nicht, ob außer mir sie niemand erkannt hat, oder ob es einfach zu uncool ist, sich als Nachsängerin zu erkennen zu geben. Ich weiß noch nicht mal, ob sie Business geflogen ist, so beschäftigt war ich mit Weggucken.

Nun gut. Dylan lebt noch, Baez auch, Schnecke ist traurig, Hase fühlt sich eingeengt, ich werde irgendwann auf der Chaiselongue entweder mit Bela B. über Musik oder mit Ferdinand von Schirach über Ethik sprechen, und das alles wollte ich so gar nicht schreiben, aber manchmal fallen Dinge einfach sehr passend zusammen.

Nun denn.

Consent Management Platform von Real Cookie Banner