Ich bin heute der zufriedenste Mensch der Welt, ich habe nämlich einen Rohrbruch und zwei Sektflöten Huxelrebe getrunken, und jetzt möchte ich im Pyjama auf den Kirchenvorhof rennen und jubeln „Hurra, ein Rohrbruch“. Und das kam so.
An dieser Stelle muss ich einen etwas längeren Exkurs über meine Immobilie einfügen, sonst ergibt das alles keinen Sinn. 2009 bin ich mit Herrn H. nach Düsseldorf gezogen, in eine Stadt, in der Wohnen immens viel billiger war als in meiner vorherigen Heimat (true!!), und dann war kurz alles schön und wir mieteten eine hübsche Wohnung. Nachdem ich verstanden hatte, dass die Wohnkosten und das Einkommen in einem ähnlichen Verhältnis stehen wie in meinem alten Land und daher gar nix wirklich billiger ist, haben wir hin und her überlegt und beschlossen, wenn man schon so viel Geld ausgeben müsse, dann könne man ja auch etwas käuflich erwerben, Altersvorsorge und so.
Gesagt, getan, nur sechs Jahre später, als ich bereits aufgegeben hatte, bekam ich einen Anruf mit der Botschaft, dass Oma M. ins Altersheim geht, und ich sollte mir die Wohnung doch mal angucken. Nun war es allerdings so, dass ich in all den sechs Jahren nie nach Wohnungen gesucht hatte, da ich sehr gerne ein Haus gekauft hätte (wir mieteten derzeit ein sehr tolles Haus, das wir irgendwann auch kaufen konnten, Notartermin war schon anberaumt, dann hat Herr H. die Verkäuferin aus Versehen auf der Straße nicht gegrüßt, und da sie vollkommen verrückt und reich war, hat sie den Termin platzen lassen, an so unfreundliche Leute wolle sie nicht verkaufen, andere Geschichte…) Zusätzlich zu der Anforderung Haus kam hinzu, dass ich in dem gemieteten Haus mit 650 Quadratmeter Garten begonnen hatte, im großen Stil Gemüse für Nacktschnecken anzubauen, und das Kind war klein und überhaupt, Handtuchgarten hätte mich nicht begeistert. Bei den Grundstücks-Richtpreisen auf Düsseldorfer Stadtgebiet war es dann allerdings so, dass mit dem Garten alleine meist das Budget schon sehr überstrapaziert gewesen wäre, und man muss ja auch noch irgendwo ein Haus draufstehen haben…
Egal. Wir hatten aufgegeben, sollten uns die Wohnung ansehen, wollten keine Wohnung ansehen, mehrere eindringliche Telefonate später vereinbarten wir einen Termin mit dem Sohn von Oma M. und besichtigten „das Objekt“. Und dann passierte etwas Komisches: Ich stand vor dem Haus und dachte „oh wie hässlich“, dann kamen wir ins Treppenhaus, gleicher Gedanke, dann rechts in den Wohnungsflur, Klaustrophobie, so furchtbar schlimm, dann durch einen 1,80 hohen Durchbruch (sehr schlecht, wenn einer in der Familie 2 Meter ist und der andere größer als der eine wird, aber egal) ins Wohnzimmer, das im wirklich allerschlimmsten Gelsenkirchener Barock eingerichtet war, und dann dachte ich: „Okay, hier werde ich alt.“
Ja, sah ich auch nicht kommen, aber so war es. Mein allergrößtes Anliegen war immer, nicht „normal“ zu wohnen. Reihenmittelhaus im Neubaugebiet wäre der Ort gewesen, an dem ich sterbe. Meine Wohnung ist alles, nur nicht „normal“. Hier ist alles „unnormal“, und das finde ich toll. Wenn ich irgendwo noch 300.000 Euro übrighätte, würde das die allertollste Wohnung der ganzen Welt. So ist sie ausreichend toll. Am Abend des Umzugs saßen Herr H. und ich auf dem Sofa, das auf der einen Wand stand, und sahen auf das einzige Möbelstück, das er mit in die Ehe bringen durfte, eine riesige Vitrine von 1880, Familienerbstück, die in jedem Raum, in dem sie vorher stand, „sehr viel Möbel“ war. Ich erinnere mich an den Satz: „Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals auf dem Sofa sitze und die Augen zusammenkneifen muss, um das Trumm (so nennen wir den Schrank) sehen zu können.“
Das Wohnzimmer ist 5×10 Meter mit 3,80 Deckenhöhe, man kann gut tanzen, und es hat Fenster an sehr unerwarteten Orten. Der Stuck ist Fake, das ist schade, aber die Idee „wir können das ja mal in echt machen lassen“ haben wir bislang wie etwa 10000 andere Dinge nicht umgesetzt. Mein Vater war ja aus dem Architektengewerbe, und von ihm habe ich vielleicht geerbt, dass ich in der allerhässlichsten Butze stehen und mir einfach vorstellen kann, wie sie aussehen könnte, wenn man Schlimmes durch Gutes ersetzt. Das hat mir an dem Tag der Besichtigung sehr geholfen. Vom Wohnzimmer führen drei Treppenstufen runter in die sehr große und helle Küche, da kann man sich hervorragend das Bein drauf brechen, habe ich festgestellt, und die Küche geht wiederum in den Wintergarten („Den können wir dann auch mal neubauen“) und dann geht es runter in den Garten, und der ist toll. Im Garten stehen ein weiteres kleines Haus, ein Bungalow, ich wollte ja immer in einem Bungalow wohnen, 30 Quadratmeter und ein Bad („Das Bad könnten wir auch mal neumachen.“) und ein Rasenmäherhäuschen. Dann geht eine kleine Treppe runter uns Souterrain, erster Raum mit Tür und Fenster zum Garten, 24 Quadrat (unter der Küche, ehemals Kinderzimmer) und dahinter noch die 50 Quadrat unterm Wohnzimmer, aufgeteilt in Raum, kleine Küche und Bad. Alles allerdings so oll, dass klar war, dass wir hier erst mal entkernen müssten, bevor wir dann, wenn er größer ist, das Kind hierher verklappen…
Entkernt haben wir dann erst mal oben, und das war, wie es so ist, geplant für einen mittleren fünfstelligen Betrag, da wir aber feststellten, dass die Idee, eine Wohnung in einem alteingesessenen Handwerkerhaus zu kaufen (es war die 2. von 5, die sie verkauft haben, inzwischen ist aber nur noch eine Etage in Familienhand), nur dann gut ist, wenn, naja, ich zitiere den Gutachter heute morgen: „Sie müssen ein Haus von einem *guten* Handwerker kaufen“, und schwupps, war es dann doch eher das Doppelte, aber gut, dafür hatten wir alle Leitungen neu und alle Wände da, wo sie sein sollten. Eigentlich war es anders geplant, wir wollten zwei nichttragende Wände versetzen, ich habe Grundrisse gezeichnet, mein Vater guckte anschließend drauf und sagte: „Nein“ (alte Schule, Montessori für Arme), irgendwann war es dann soweit, ein Bautrupp kam mit einem Vorschlaghammer, und nachdem wir sahen, wie das Holzständerwerk von innen aussah, ließen wir einfach die gesamte Bude umhauen, weil alles, wirklich alles so schlecht war, dass wir quasi nicht anders konnten. Eine Woche nach dem Notartermin kam ich morgens in die Wohnung, in der 7 Handwerker gleichzeitig alles, wirklich alles, was nicht tragende Wand war, umgehauen hatten, und dann gab es einen winzigen Laufweg, alles andere war komplett kaputt, und dann machte ich die Tür wieder zu, stellte mich auf die Straße und versuchte, nicht zu hyperventilieren, hatte ich doch die nächsten 15 Jahre wirklich, wirklich hohe Schulden, und der Gegenwert war kaputt. Komplett kaputt.
Lange Rede, kurzer Sinn. Oben hatten wir irgendwann solide 90% fertig erreicht (seit letztem Sommer sogar Fußleisten in der Küche, aber schlecht weil selbstgemacht ohne größeres Talent). Das Projekt Einliegerwohnung war bereits recht weit geplant und mit der Bank besprochen, ich wollte das nämlich wenn dann gerne richtig machen, Sommer 2020 wäre der Zeitpunkt gewesen, danach Umzug Ona in den Keller, damit ich – ich hatte mein Schlafzimmer schlau mit Durchbruchmöglichkeit geplant, um es dann nach Reorganisation mit dem Kinderzimmer zu verbinden – und dann kam Corona und ich brauchte das Geld anderweitig. Da es sich nicht um eine kleine Schönheitsreparatur handelte, was ich da vorhatte, wurde das Projekt also vertagt. Stattdessen steckte ich viel Zeit, Energie und ein bisschen Geld in den Garten, der – wenn man schon ein halbes Jahr (HAHAHA!) wegen Pandemie zuhause sitzen muss – wenigstens wirklich gut sein sollte, baute zwei neue Hochbeete, kaufte sehr viel Blühzeugs, ließ meiner Fliederliebe ungebremst Lauf, und vergaß den Keller.
Bis ich am Sonntag feststellte, dass offensichtlich eine Wand in der Küche komisch ist, der Durchbruch zum Wohnzimmer, wo gar keine Wasserleitung liegt. Im Keller war Regenwald, Wand kletschnass. Da wir uns das überhaupt nicht erklären konnten, lautete der Laienbefund: Kommt aus dem Nachbarhaus. Heute kam der Leckortungsmann, der sich erst einmal sehr für meine Hochbeete interessierte, und nachdem wir 15 Minuten über Gemüseanbau gesprochen hatten, ging er runter, und dann hatte er Spaß. Mehrere zig Male fiel der Satz „Mein lieber Scholli“, gerne auch „Hahahahaha, wer macht denn sowas?“ und „Ja, das ist eine pfiffige Idee, die Rohre so zu verbinden, klappt aber nicht“, er riss Rigips ein, der sich wie Pudding verhielt, fühlte ein bisschen am Boden, brach dann den Durchgang zum zweiten Raum auf, dort kam uns eine Fontäne entgegen, dann durfte ich assistieren wie eine Fernsehassistentin einer 80er Jahre Samstagsabendshow, wir fuhren mit einem Endoskop in den Zwischenraum zwischen Fußboden Küche und Decke darunter, und der Herr hatte viel Spaß. Kein einziges der selbstverlegten Rohre (die Räume wurden Ende der 70er in Richtung Garten angebaut) war intakt, und wie er glucksend kicherte, kein einziges der Rohre war zweckgemäß. „Nur weil etwas aussieht wie ein Rohr, können wir nicht zwingend eine Spüle daran anschließen.“ Nach etwa einer Stunde stand fest: Grund ist Rohrschaden, Korrosion, was im Normalfall ein Versicherungsschaden ist, keine Sorge (hab noch nix schriftlich, wenn nicht, bin ich offiziell ruiniert). Die traurige Botschaft sei: Man müsse große Teile der beiden Räume komplett freilegen, trocknen, neumachen, Boden, Decken, leider alles raus. Okay.
Die nicht *ganz* so gute Nachricht: Da im Küchenboden ja alle per Endoskop gesichteten Rohre im Arsch sind (sorry, aber das ist ja die nicht ganz so gute Nachricht), gibt es noch eine etwa 95prozentige Wahrscheinlichkeit, dass man das von oben beheben muss. Ja genau. Ich habe 24 Quadratmeter Küche, und da steht einfach mittendrin eine… Küche. Die Küche, in die zirka 95% der gesamten Sanierungsplanung geflossen ist, weil ich schon vorher ahnte, dass wir immer und ausschließlich nur in der Küche sein werden und ich die nächsten 25 Jahre mindestens mich mit dem Thema nicht mehr beschäftigen möchte. Die wird abgebaut werden. Und dann werden sie die Eichendielen, die wir aus Zeit- und Kostengründen AUF DIE HÄSSLICHEN FLIESEN GELEGT HABEN WESHALB WIR DEN ALLERSCHLIMMSTEN SCHADEN ALS EINZIGEN NICHT GEFUNDEN HABEN raushauen. Und dann werden sie die Fliesen darunter raushauen. Und dann werden sie die Installationen neumachen. Und dann werden sie einen neuen Fußboden legen, und dann werden sie die Küche wieder aufbauen, und dann werden sie mindestens 8 Wochen ein Trocknungsgerät in die Küche stellen, wir haben nämlich 60 Zentimeter Backsteinwände, und die sind leider nass. Und neben den Handwerkern und neben dem Trocknungsgerät wird eine Person sitzen, die verzweifelt versucht, zu arbeiten. Ist ja Scheißpandemie, Homeoffice. Jaja.
Aber: Wir müssen jetzt den Keller machen. Das wiederum ist ganz hervorragend. Pubertät droht, wir müssen uns entfernen.
So war das. Ich könnte noch viel mehr schreiben, aber mir scheint das schon etwas länglich geworden zu sein. Das Thema wird aber sicher eher eine Serie als ein Einteiler. Ein lustiger Moment war aber, als ich mit dem Leckortungsmann anschließend noch mal um den Flieder flanierte und er sagte: „Der Garten ist toll, ich kann verstehen, dass man das trotzdem kaufen würde.“