Es fühlt sich nicht mehr gut an, und ja, I heard it.
Das Wort „Durchseuchung“ ist ekelhaft, aber gut, wir machen jetzt mit. Soeben haben wir gegessen, total ungesund, Fleischersatzprodukte aus dem Speisefön und Süßkartoffelpommes, denn: Demnächst sind wir ja dran, dann möchte man noch mal schlecht gegessen haben, und da sagte Ona: „Wär doch eigentlich gut, wenn wir uns jetzt anstecken, da sind wir noch topgeboostert.“ Jo, hat er recht.
Und nein, ich habe keine Angst, ich bin lediglich wütend. Ich bin geboostert, mein Kind ist geboostert, der Vater ist geboostert, wir sind bereit. Und jetzt zählen wir runter. Die halbe Klasse ist durch, heute war O. dran mit rausgefischt werden, in der dritten Stunde, im Rudeltestmodell, alle Masken runter in dem Raum, in dem man seit 2 Stunden sitzt, testen plus Stillarbeit, und Stillarbeit erst abschließen, dann der Positive nach Hause, die Hälfte seiner Lehrer sind krank oder in Quarantäne oder wie auch immer, jedenfalls nicht da. Unterricht findet gefühlt nicht mehr statt, ich habe keine Fragen mehr. Morgen geht die Klasse Schwimmen. Schwimmen ist super. Immerhin Chlor.
Für eine kurze Sekunde fand ich mich eben nicht auf Zack, als andere Eltern mir auf Twitter mitteilten, dass sie doch ihr Kind einfach von Sport befreit hätten. Ja, finde ich gut. Aber ich habe ja so einen kleinen Hang zum stringenten Argumentieren, und wenn ich – zurecht – sage, dass mein Kind am Sportunterricht nicht teilnehmen darf, und auch nicht am Schwimmen, und zwar aus dem besten aller Gründe: Wir machen seit ewigen Zeiten ja NICHTS mehr, wo man die Maske abnehmen muss, auch nicht, um kurz zu trinken, denn Zielerfüllung einer guten Maske ist erreicht, wenn sie ohne eine kleine Ausnahme gut sitzend getragen wurde, wo war ich? Ach so. Wenn ich sage: Mein Kind darf nicht ohne Maske beim Sport mitmachen, dann habe ich direkt zwei große Probleme. Problem 1: Latein ja, Sport nein. Mein Kind ist 12 Jahre alt, also lang, aber trotzdem klein. Das darf man nie vergessen. Ein Jahr lang hat er zuhause gesessen und alles brav ertragen, auch dann, wenn ich gar nicht gesehen habe, wie einsam er ist, weil all seine engen Freunde in Groß- oder Patchworkfamilien leben und ich Kontakt zu riskant fand. Er hat nie geklagt, und er hat immer gehofft, irgendwann geimpft zu sein, dann wird alles besser. Jetzt ist er geimpft, die Politik hat losgelassen, die Schule hat aufgegeben, und während wir ins dritte Jahr gehen, soll ich die Mutter sein, die ihrem 12jährigen Kind sagt: „Du, lass uns kein Risiko eingehen, die Inzidenz ist bei 10000 Millionen, bleib einfach noch mal auf unbestimmte Zeit zuhause, während die anderen Handball spielen“? Nein. Problem 2. Das kann ich leider nicht. Homeschooling: Total okay, hätte er Lust drauf (ich auch, er schoolt sich ja glücklicherweise selber, und ja, ich weiß, wie belastend das in anderen Konstellationen sein kann). Kein Schulsport ohne Maske? Für ihn fein, gäb es keine Klagen. Alle seine Freunde trainieren zweimal die Woche und fahren am Wochenende zum Auswärtsspiel und er nicht? In Jahr drei nicht mehr abbildbar. Denn: Er ist klein. Das muss man sich immer erklären. Am Wochenende hat er mit seiner Mannschaft 27:6 gewonnen, davon zehrt er noch eine Woche. Ich habe Freundschaften über die Pandemie verloren, vermisse manche Leute sehr, plane nur Dinge, die nicht länger als 2 Stunden sind, weil das die Spanne ist, bei der ich genau weiß, dass ich die Hände von der Maske lassen kann, etc. etc. Aber ich bin 45. Mein Kind ist 12. Der kann nicht noch ein Jahr oder auch nur einen Monat verzichten, während die gesamte Welt sich einfach normal weiterdreht. Und deshalb ist es jetzt so. Konsequenterweise geht er also morgen mit Schwimmen. Wer auf der einen Seite die Flanke aufmacht, kann sich auf der anderen Seite nicht hinstellen und sagen: Mein Kind soll kein Risiko eingehen. Und bei einer Inzidenz von 479.000 Millionen wird es ja hoffentlich jetzt auch schnell gehen. Und es müsste ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir dran vorbei schlittern, und wenn nicht, dann ist das jetzt so. Wir sind bereit, ich bin entspannt. Aber nur nach außen. Nach innen bin ich WÜTEND.