Cake

Im Rahmen meiner Metamorphose hin zu diesem total neuen Menschen bin ich seit gestern abend mindestens zwei Schritte weiter. Der erste Schritt wurde neulich eingeleitet, als ich meiner im Oktober eingeleiteten und seitdem konsequenten Gewohnheit, immer rot lackierte Fingernägel zu tragen, korrigierend eingreifen musste, hin und wieder muss man ja erneuern, und dann saß ich da an der Küchentheke mit einer eigens zum Nägellackieren gebauten Lichtimprovisation, ich kann nämlich so wie ein Neurochirurg ausschließlich meine Nägel überhaupt noch sehen, wenn so eine Baustellen-Starklichtlampe daneben steht und alles erleuchtet. Sonst erkenne ich seit kurzem ja nicht mal mehr, wo die Hand überhaupt ist. Zum Glück habe ich ein gutes Körpergefühl und ein Verständnis von Abständen, aber während ich so lackierte, verspürte ich den Wunsch, beim nächsten Lackieren eine Brille zu besitzen, mit der ich meine Fingernägel sehen kann.

Die kam also heute, sehr gut, morgen muss ich Fingernägel lackieren, und dann war ich kurz sehr enttäuscht, da sie dunkelgrün und nicht schwarz ist, so ein dickes Hornding, extra aus Schweden hierhingebracht, das sah ich aber auch erst, als ich die DHL Ankündigung erhielt, sonst hätte ich vielleicht eine regionalere Variante gewählt, aber ich setzte sie auf, sah auf mein Handy, wie so oft im Leben, und dachte: Holy Shit. SO geht gucken? Wahnsinn. Grün hin oder her, die Brille bleibt. Ich habe dann etwas gegessen. Mit Lesebrille. Das war viel besser. Und sie sitzt hervorragend, ich bin begeistert. Weniger begeistert war Ona, der musste leider tatsächlich ein sehr unelegantes Geräusch machen, als er mich sah, und ich musste ihm versprechen, dass ich die niemals draußen tragen werde. Da ich nach einem Meter ja gar nichts mehr sehen kann, konnte ich das hervorragend versprechen.

Das zweite Gebiet, in dem die Metamorphose eingeleitet ist, wird Sie überraschen. Ich werde jetzt Hobbykonditorin. Für eine Frau, die zwei Jahre keinen Zucker gegessen hat (seit Weihnachten bin ich leider wieder leicht gewöhnt, was ärgerlich ist, weil anfangs alles ganz grauenhaft schmeckte, aber wie beim Mit-dem-Rauchen-wieder-Anfangen muss man sich einfach durchbeißen, und dann kann man ohne Probleme wieder alten Gewohnheiten frönen. Schreibt man frönen so? Ich schreibe Gral ja auch immer erst mal falsch, es ist nicht einfach, das mit dem h.

Zudem hasse ich ja Backen. Ich hasse Backen. Jetzt ist es raus. Die allerschlimmste Periode meines Lebens war das Jahr, als Jonathan 36 Muffins für den Schulgeburtstag (Mittwoch), 36 Muffins für den OGS-Geburtstag (Freitag), eine Torte und dann noch das komplette Programm für den Kindergeburtstag (Samstag) UND das komplette Programm für den Tantengeburtstag (Sonntag) brauchte. Nie war ich dem Tod näher. Backen holt mich nicht ab. Man muss laute Sachen machen, ich hasse laute Sachen, ich bohre nicht und ich möchte auch nichts mit dem Handrührgerät machen, ich mache lieber leise Sachen. Und dann dauert alles lange, und dann muss man alles backen, das ist allerdings okay, weil danach alles gut riecht, und dann muss im schlimmsten Fall noch alles transportiert werden und es sieht kacke aus. Der Übergang aufs Gymnasium war aus so vielen Gründen eine immense Erleichterung. Als ich verstand, dass dort nie Geburtstage gefeiert werden, war alles gut. (Ich glaube übrigens auch, dass ich heute an dem Punkt wäre, einfach 36 Muffins beim Bäcker zu bestellen, ich meine, Herr H. hätte das auch sogar schon mal so gemacht. In jüngeren Jahren war man allerdings schon gebrandmarkt, wenn man irgendwas mit Weißmehl mit in die Kita brachte, das kam einem Anschlag auf die gesamte Gruppe gleich.)

Die Torte zu Onas Geburtstag begleitet uns seit 2016. Damals arbeitete ich für eins der führenden Unternehmen wenn es um Fertigdingens gibt, und im Rahmen meiner Aufgabe musste ich wochenlang auf Tortenrezepte starren. Wenn man nun wochenlang auf Tortenrezepte starrt, dann hat man irgendwann das Gefühl, jede*r, wirklich jede*r kann im Handumdrehen eine 12stöckige Hochzeitstorte mal eben so machen. Und dann hatte das Kind Geburtstag, und ich machte eine Torte. Die Tortendeko, die der lokale Supermarkt so bietet, war mehr als dürftig, aber hey, Smileys auf einer Marzipandecke geht ja immer. Ona war begeistert und wünschte sich, dass ich ihm jedes Jahr zum Geburtstag eine Torte backe. Eine toll verzierte Buttercremetorte mit Marzipandecke. Und ich habe geliefert, sie sah in jedem einzelnen Anlauf mittelgut aus, aber so ein Kind ist ja schon begeistert, wenn die Mutter, die nicht backt, irgendwo sehr viel Glitzerpuder draufmacht. Und jedes Jahr dachte ich mir: Nächstes Jahr recherchiere ich vorher, besorge gute Deko und probiere mal ein neues Rezept.

Dieses Jahr ist dieses Jahr. Und der Weg war, ja, eine Achterbahn. Begonnen mit der Suchmaschinenanfrage, ob man bereits in Lagen geschnittene Biskuitböden bestellen kann (daran scheiterte schon immer alles: Ich habe motorische Fähigkeiten aber leider keine Geduld, Herr H. hat die Geduld und die Ruhe eines Engels, ist aber der totale Körperklaus, und zusammen, wenn wir all unsere Fähigkeiten poolen, kommt immer noch kein in 4 Scheiben geschnittener Biskuitboden dabei raus, schade.) Also suche ich nach einer guten Lösung, aufgeschnitten kaufen, dann las ich 4000 Forenantworten, die alle lauteten „aber warum denn, selber backen ist doch kein Problem“, dann fragte ich Twitter und Zack, Problem gelöst. Dann suchte ich Tortendeko und landete in einem großen Shop, der auch wunderschöne Torten hatte, sogar sehr erschwinglich, und dann packte mich dieser Ehrgeiz, den ich immer entwickele, wenn jemand sagt „das kannst du sowieso nicht“ und jetzt habe ich dänisches Marzipan in zig schönen Farben gekauft, ein total tolles Nudelholz, ganz viele rosa Schmetterlinge aus Esspapier (am 27.2. wird der 60. Geburtstag meiner Schwester gemeinsam mit dem 13. Geburtstag Onas in meinem Wohnzimmer begangen, und sie bestellt das Catering, weil wir ja nicht draußen essen, und ich muss Kaffee/Kuchen organisieren, und wenn Ona eine tolle Torte kriegt, kriegt meine Schwester natürlich auch eine tolle Torte, und da seit dem Tod ihres früheren Mannes der Schmetterling ihr Karmatier ist oder so, kriegt sie eine pinke Schmetterlingtorte), eine sehr schöne ganz hohe Springform für faule Leute, diverse Schaber und Paletten und all die Dinge, für die ich gestern vor den 40 Torten Videos gar kein Vokabular hatte, und natürlich eine Küchenmaschine, die ich seit über 10 Jahren gerne hätte, diese eine, die so hübsch ist und nix kann außer rühren, und jetzt ist alles gekauft, und beim Rewe gibt es kein Krokant. Morgen kommt eine LKW Ladung Tortenzeugs, ich wollte am Sonntag schon mal probebacken, damit ich dann, wenn es drauf ankommt, auch wirklich backen kann, und es gibt kein Krokant.

Also ich hab alles gegeben.

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