Neuer Tag, neues Glück. Ich bin exakt genau gleich angestrengt wie vor dem Schlafengehen, seit Wochen empfinde ich das, was im Roman „bleierne Schwere“ heißt. Konnte ich mir nie viel drunter vorstellen, jetzt bin ich ein Mensch, der bleierne Schwere kennt. Bei dem Gedanken, dass ich heute die Treppe runter und wieder rauflaufen muss, um Einkäufe zu transportieren, wird mir direkt ganz schlecht vor lauter bleierner Schwere. Ich habe das also jetzt immer, Frau N am Ende eines langen Tages immerhin punktuell, so standen wir gestern abend also vor ihrem Haus und riefen mein Kind an mit der Bitte, die Einkäufe hochzutragen, da wir sonst leider kein Eis essen könnten. So gemein sind wir.
Letztendlich habe ich dann gar kein Eis gegessen, da ich erstens gar nicht gerne Eis mag und ich zweitens keinen Appetit hatte. Mein Kind hat derweil ein ganzes Paket gegessen, und ich bin immer wieder erstaunt, dass diese komplette Eisbegeisterung mit mir eine Generation übersprungen hat. Meine Mutter und mein Kind sind zusammen vermutlich für die Hälfte des Eiskonsums in Europa zuständig. Vor vielen Jahren, ich lebte noch bei meinen Eltern, ertappte ich meine Mutter abends beim Golden Girls gucken mit einer riesigen Schüssel Eis, und genüsslich löffelte sie, den Löffel mit der Wölbung nach oben haltend. Auf die Frage, warum sie den Löffel falsch rum hielte, antwortete sie: So habe ich länger was davon. Da kann eine viel von lernen.
Ich habe ja allergrößten Respekt vor Frau N, aber ihre Katzen beäuge ich mit Skepsis. Sie kennen mich ja ganz gut, ich war nämlich vor ihnen da, und der Kater hat die zwei Jahre Überlappung nur für den Moment gelebt, an dem ich jede Woche abends einen Koffer in das Gästezimmer gestellt habe, damit er dann darauf schlafen kann. Vielleicht ist es Pandemie, aber die Katzen haben sich recht eigenartig entwickelt. Erstens musste ich kritisch anmerken, dass die vorgebrachte Entschuldigung der Tierärztin, die Katze habe einen sehr ungünstigen Körperbau, so nicht richtig ist. Die Katze hat kein Körperbauproblem, die Katze ist einfach unfassbar fett. So, jetzt hab ich es gesagt. Ich glaube, sie wiegt so viel wie mein Hund, und sie sieht eher aus wie ein prallgefüllter Luftballon, als wie eine Katze. Zum Fressen bekommt sie übrigens einen besonderen Service: Frau N legt sich auf den Boden daneben, bis sie fertig ist. Das Gewichtsproblem könnte folglich sehr einfach behoben werden, in dem Frau N etwas früher wieder aufsteht. Alternativ könnte ich öfter ins Bad gehen, das verbrennt auch viele Kalorien. Die Katze möchte das nämlich nicht. In den letzten Tagen waren wir tagsüber ja zu viert, Ona, zwei Katzen und ich, und da zeigte sich sehr schnell, dass jedes Mal, wenn ich ins Bad gehe, die Katze vollkommen eskaliert. Sie kratzt an der Tür, schreit, maunzt und regt sich erst wieder ab, wenn ich die Türe öffne. Nun bin ich nicht so veranlagt, dass ich mich den Wünschen einer Katze unterordne, und wenn ich das wäre, würde es recht schnell hinauslaufen auf „sie oder ich“, denn man muss ja ins Bad. Wenn Frau N in der Küche anwesend ist, eskaliert die Katze übrigens nicht, sondern legt sich lang vor die Tür und setzt ein einschüchterndes Gesicht auf. Lang ist natürlich relativ, wegen der unglücklichen Körperform. Der Kater war lediglich wieder sehr beruhigt, dass die lange kofferlose Zeit vorbei ist, und heute morgen, Frau N und ich hatten beide einen Kaffee und lagen auf Sessel und Sofa, während die großen Kinder noch schliefen, da kam der Kater zu uns, turnte ein bisschen angeberisch auf dem Flokati vor, wie gemütlich die Welt ist, wenn man gut schlafen kann und nicht Rücken hat, dann ging er zu Frau N und teilte ihr unangemessen fordernd mit, dass sie mitkommen müsse, sofort, ging dann einmal durch die ganze Wohnung und teilte ihr Lassie-Style mit, dass die Tür zu Onas Zimmer sofort geöffnet werden müsse. Ich nehme an, dass meine autoritäre Anwesenheit das einzige war, was sie davon abhalten konnte. Ich bin sehr froh, dass sie keinen großen Hund hat.