Ich möchte heute etwas über Corona schreiben, das klingt ja fast albern, da wir ja seit fast einem Jahr über nichts anderes schreiben. Dass mir sehr die Decke auf den Kopf fällt, ist auch bekannt, dass ich finde, bei mir zuhause wohnen zu viele Menschen, ist auch bekannt, es ist so, Sie kennen das ja. Ich muss ein großes Loblied auf mein Kind singen, das dieses Jahr in den Kopfnoten einen kleinen Leistungsabfall hatte, ansonsten aber ungetrübt sein Ding macht in der Schule, und ja, sein Ding, nicht meins. Nach wie vor bin ich noch immer Pre-Homeschooler, habe mich bislang genau einmal um etwas gekümmert, nämlich um die Einweisung in die Druckerbenutzung. Das sitzt, den Rest macht er selbst. Ich weiß gar nicht, ob Ona das anders wollen würde, ich denke allerdings, dass er vor allem eines nicht möchte: Mit mir zusammen lernen. Vielleicht ist das ein guter Tip: Stellen Sie sich so doof an und werden Sie maximal ungeduldig, dass Ihr Kind lieber in den sauren Apfel beißt und sich alleine anstrengt, als mit Ihnen zu homeschoolen. Mir ist das gelungen.
Nichtsdestotrotz braucht so ein kleiner Mensch Ansprache, und da brach mir in der letzten Woche oft das Herz. Etwa 2000 Mal hatten wir folgende Situation: „MAMAMAMA, ICH HAB MATHE FERTIG, ICH BIN SO FROH“ – „PSSST, KUNDE AM TELEFON.“ Zwischen morgens 8 und abends 6 habe ich mit wenigen Ausnahmen für Waldspaziergänge oder Mittagessen kochen wenig Anderes gesagt. Das ist nicht toll. Mein Mann war die Woche über häufig absent, was aber tatsächlich keinen Unterschied macht, ich habe nämlich nicht aufgepasst in den letzten Monaten. Jetzt aber.
Im Garten steht ein kleiner Bungalow. Also nicht so ein Gartenhäuschen, das steht da auch, da steht der Rasenmäher drin. Also ein Bungalow, etwas über 30 Quadratmeter mit Bad, normale Wohnausstattung. Dort stehen Backup-Kleiderschränke, der Gartenkühlschrank (Bier und Sekt und vergessene Essensreste), dann ein Bett, in dem mein Mann schläft, und im Januar 2019 habe ich mir dort ein Büro eingerichtet. Komplett mit allem. Ein guter Schreibtisch, Lampen, Rollcontainer, Monitor, Regale, Drucker, alles. Ich habe sogar Schreibtischdeko gekauft. Dank eines WLAN Verstärkers war dort alles schön. Aber irgendwie habe ich letzten März, als alle, die hier wohnen, ins Homeoffice wechselten, nicht gemerkt, dass mein Mann jetzt da arbeitet. Vielleicht ist das so ein Mutterding, das können wir hier nicht diskutieren, aber seit März materialisiert der Mann abends gegen 18 Uhr in der Küche und sagt „was essen wir heute?“ Wenngleich ich das absurderweise gar nicht in Frage gestellt habe, ist mir in der letzten Woche, in der ich eigentlich jeden einzelnen Tag sehr konzentriert hätte durcharbeiten müssen, aufgefallen, dass ich die einzige Ansprechpartnerin für Ona bin tagsüber, also in der Zeit, in der ich das Geld für unser Obdach verdiene, und das habe ich jetzt umgedreht.
Ich habe kurz angekündigt, dass die nächsten 11 Monate der Schreibtisch inklusive der gesamten Infrastruktur (Regale, Ablagekörbe, etc.) von mir genutzt werden wird. Aus allen Gründen, da gab es wenig zu diskutieren. In den nächsten 11 Monaten des Lockdowns geht Frau N also in die TARDIS, ich ziehe mich an und gehe um 9 ins Büro. Und das ist nicht in meiner Küche. Ich bin sehr aufgeregt. Ich werde wieder einen Posteingangskorb haben.
Und dann ist heute noch ein unvorhergesehener Pflegenotstand eingetroffen. Wie Sie sich vielleicht erinnern, bin ich ja alt und grau geworden, habe das graue Haar im ersten Lockdown ein halbes Jahr rauswachsen lassen, um dann im Oktober in einem Anfall vollkommener Fehlgeleitetheit alles wieder zu färben und mich einen Tag später darüber wieder zu ärgern. Also lasse ich wieder wachsen. Mein Haar wächst schnell, daher ist mein Ansatz inzwischen gut und gerne 5 cm. Ich hoffe inständig, dass der Lockdown noch mindestens vier Monate… äh nein.
Jedenfalls kann ich das graue Haar noch nicht so gut einordnen, ich weiß nicht, wie man mit altem Haar verfährt. Es ist kompliziert. Zudem sind Locken (momentan mal ja, mal nein) ja gerne trocken, kaputt gehen meine Haare auch nicht, ich habe also in 44 Jahren vielleicht 3 Haarkuren gemacht, vermutlich alle in der Pubertät. Heute morgen strich ich mir mit der rechten Hand die Haare hinters Ohr und blieb stecken. Also meine Finger blieben in meinen Haaren stecken. Das war neu. Dazu muss man sagen, dass ich meine Haare nicht kämme, also nie, bis dato gab es dazu keinen Anlass. Jedenfalls ging ich auf die Suche nach dem Grund, warum meine Finger stecken blieben und entdeckte, dass sich in dem grauen Teil der Haare an der Schläfe so eine Filzmaus bildete. Langsam, aber fühlbar. Einfach sehr verknotete Haare. Stellen Sie sich vor, ich hätte das nicht bemerkt. Am Ende der Pandemie wäre ich wieder normal unter Leute gegangen, und hinter mir hätten alle getuschelt „Naja, sie hat das alles ja ganz gut überstanden, aber hatte sie vorher auch schon Rastas?“ Nein, das war nie das Ziel. Also suchte ich in allen möglichen Schubladen, ob ich nicht doch irgendwo so ein Haarprodukt hätte und fand eine Flasche „Pretty Hair Olivenölkonzentrat“ das mir in einem orientalischen Friseursalon geschenkt wurde, in dem ich war, als mir am Tag vor der Beerdigung meines Vaters eingefallen war, dass ich vielleicht auch noch zum Friseur gehen müsste. Also schüttete ich Pretty Hair über das Problem, und schwupps konnte ich alles entwirren und – jawohl – kämmen, allerdings sehe ich jetzt aus wie ein Mensch, der sich gerade Olivenöl auf den Kopf geschüttet hat. Das kann ich aber morgen einfach wieder rauswaschen, besser als Rasta finde ich das allenthalben.
Uptown Babies don’t Cry