30.03.2022

Es ist ein schöner Tag, aber auch ein trauriger. Der Strampelanzug für den Bundespresseball ist angekommen. Und er ist toll. Das bedeutet, dass ich nicht spontan was geschneidert kriege, aber auch, dass ich jetzt die nächsten vier Wochen in erster Linie nur kein Wasser oder anderes Gewebe einlagern darf, eventuell würde ich vielleicht sogar eher noch Gewebe auslagern, aber wirklich nötig ist es nicht, Sitzen, Stehen, Laufen, alles tippitoppi.

Wie das so ist mit großer Abendgarderobe, kriegt man die natürlich nicht alleine angezogen. Der Paketbote kam, ich kam aus der Dusche, fand den Strampler vor, warf mich begeistert hinein und stand dann etwas ratlos im Wohnzimmer. Da Herr H im Gartenhaus saß, rief ich ihn an und sagte mit ernster Stimme: „Hi, könntest du bitte einmal kurz rüberkommen, es ist dringend“ und legte schnell wieder auf, denn ich bin mir nicht ganz sicher, ob er seine Arbeit hätte stehen und liegen lassen, um mir den Reißverschluss einer Ballrobe zu schließen, die ich in vier Wochen theoretisch mal anziehen müsste. Umso größer war die Freude, dass es sich bei dem dringenden Thema weder um Krieg noch Pandemie noch Zombieapokalypse handelte, sondern nur einen Reißverschluss, was aber im Endeffekt noch viel komplizierter war als die genannten Themen, wie das nämlich so ist, wenn so ein Ingenieur eine Ballrobe zumacht, war dann das gute Sonnenplissee im Reißverschluss eingeklemmt, dann war 15 Minuten „oh, ah, ja, nee, Mist, jetzt, nee, hmmm, oh, ach, jetzt aber“ hinter meinem Rücken, und irgendwann war angeblich alles gut und zu und ich rief den beratenden Designer an. Der kam rüber, befand das alles für sehr gut, stellte dann fest, dass etwa 10 Meter Sonnenplissee im Reißverschluss feststeckte, dann kam wieder 15 Minuten „oh, ah, ja, nee, Mist, jetzt, nee, hmmm, oh, ach, jetzt aber“ hinter meinem Rücken, dann war der Stoff befreit, und dann ging es an die Detailanalyse, die ergab: Ein wirklich schönes, sehr gut verarbeitetes Kleidungsstück, das an der ein oder anderen Stelle noch kleine Makel aufwies (irgendetwas bauschte, irgendetwas mit irgendeinem Beleg), die aber niemand von uns allen jemals sehen würde, kann man auch, so wurde mir versichert, mit ein paar Stichen hier und ein paar Stichen dort alles in Perfektion bringen, ich wies darauf hin, dass dennoch ich ja nicht in Perfektion sein würde, das Gesamtergebnis wäre also vermutlich exakt gleich, aber gut. Ich bin ja in meinem Gebiet auch pingelig. Der im Reißverschluss gefangene Stoff muss jetzt noch mal gebügelt werden, und dann passiert irgendwas mit Stichen, dann müssen die Beine noch etwa 2 cm kürzer werden, da ich ja ein paar flache Schuhe an der Garderobe deponieren werde – lernen von Profis! – und dann gibt es nach zwei Stunden eine Durchsage „Meine sehr geehrten Damen und Herren, die ist der letzte Aufruf, die hohen Schuhe von Frau H zu begutachten, in zwei Minuten wird sie in flache Schuhe wechseln, danke für Ihre Aufmerksamkeit“, und dann muss man ja auch noch laufen können, und zwei Zentimeter sind ja quasi nix, und dann ist alles sehr schön. Das Smokingjackett braucht es gar nicht mehr zwingend, da der Anzug doch, ich zitiere, „sehr viel für dich tut, der arbeitet den ganzen Abend mit“, und dann bleibt noch die Frage nach dem Lametta. Schuhe und Tasche sind bereits geritzt, die (geliehene) Clutch hat eine goldene Kette, das reduziert meine Schmuckmöglichkeiten von „ich habe keinen Schmuck“ auf „ich habe vor allem keinen goldenen Schmuck“, aber den Wahlring, also den goldenen Verlobungsring meiner Mutter, den kann ich wohl tragen, und ich habe mir vom Designer die Zustimmung geholt, dass so ein Dekollete einfach ganz ohne Kette, das bin dann doch sehr ich. So. Und jetzt ist dieses Thema zum Glück auch erst mal durch.

10 Gedanken zu „30.03.2022“

  1. Bei der Beschreibung kam mir jetzt sehr spontan eine Frage: Es hat Beine. Und Sie benötigen jemanden, der Ihnen den Reißverschluss hinten schließt. Wie gehen Sie damit auf Toilette? Sorry, ich bin so fürchterlich praktisch veranlagt…

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