Morgen wird ein sehr guter Tag, morgen machen wir gar nichts. Die Woche war nicht gerade ungefüllt, und dass ich heute Nacht nur 4 Stunden geschlafen habe, um dann zu demonstrieren, dann mit 14 Leuten auswärts zu essen und die dann später alle in meinem Wohnzimmer zu Gast zu haben, war ein gelungener Abschluss, und selten war ich so erleichtert, dass am nächsten Tag ein Sonntag ist.
Mein Demoneid ist nun also gestillt, 100.000 Leute – und das ist die offizielle Zahl der Polizei, die ja meist eher am unteren Rand der möglichen Bandbreite angesiedelt ist – haben demonstriert, wir waren dabei, es war alles sehr schön und ermutigend, naja, ich hatte das eben schon mit den Kirchenbeamtinnen ersten Grades besprochen, wenig ermutigend war die Rede des evangelischen Superintendenten, dessen Bildsprache so weit an der Bandbreite des sinnvollerweise Sagbaren vorbeizielte, dass wir erst um etwa 21 Uhr soweit waren, das zu besprechen. Das grauenhafte Bild zu zeichnen, dass nach den Deportationen dann in Deutschland wieder Konzentrationslager erreichtet werden, okay, kann man machen, wenn das der gewählte Weg der Rede ist. Dann aber ganz protestantisch-beseelt glücklich zu sein, dass so viele Leute demonstrieren kommen und der Freude Ausdruck zu verleihen mit dem Satz „Mit EUCH würde ich gerne ins Lager gehen!“, meine Güte, da waren aber alle kurz still, mir persönlich fehlt da der Zugang. Was man in Zeiten einer großen „Sondersituation“, wie die Kirche sie seit ein paar Tagen hat, ja auch immer gut machen kann, ist, einfach mal erratisch eine andere Sondersituation zu kreieren, ich habe zumindest mit meiner Schwester heute nicht über Mißbrauchsfälle gesprochen, sondern über KZs, ja gut, why not.
Die Schilder waren gemischt lustig, manche gut, manche schlecht, die meisten hatte man schon gesehen, was kein versteckter Plagiatsvorwurf sein soll. Hätte ich demnächst das Bedürfnis, ein Schild mitzunehmen, würde ich eines derer kopieren, die ich gesehen habe und lustig finde. Ganz besonders gut finde ich ja „Ich hätte heute auch was Schönes machen können“ oder, wie der Herr, hinter dem wir heute lange gelaufen sind, „Ich bin so sauer, ich hab sogar ein Schild gebastelt“, das finde ich rasend komisch und würde in beiden Fällen meine Haltung zu Demos insgesamt und der Situation im Besonderen gut abbilden. Neben mir lief noch „Wenn die AfD die Antwort ist, wie dumm war dann die Frage?“, finde ich auch sehr ansprechend.
Eine Sache, die ich jedoch als mathematisch geschulte Person heute sehr oft diskutiert hatte, und auch das ist natürlich ein Gedanke, den wir alle schon gedacht oder gesagt haben, ist ja die: Wenn wir uns mal exemplarisch die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2022 ansehen…
…und ein bisschen was über Repräsentativität wissen, dann wäre es doch super, wenn alle Nichtwähler:innen, die heute ein lustiges Schild gehalten haben, in Zukunft einfach wählen gehen, vielleicht Schwarz oder Rot oder Grün oder meinetwegen sogar Gelb (dann aber bitte vorher noch mal nachdenken), egal eigentlich, halt nicht Braun, dann haben wir schon ein Stück der Problems beseitigt, weil die Verschiebung, die man kriegt, wenn nur die Protestwähler:innen immer gehen und die Nichtprotestwähler:innen halt nur manchmal, aber gut, Sie wissen das alle selber.
Hoppla. Vielleicht gibt es dereinst eine systematische Untersuchung verkackter 2024-Gegen-rechts-Demo-Reden, langsam könnte eine ordentliche Datenmenge zusammenkommen.