17.05.2024

2024 bringt mich an einen Punkt, an dem ich kurz davor bin, zu sagen „Kann ich Pandemie noch mal sehen?“, und das ist im Prinzip natürlich total inakzeptabel, wenngleich in der Nachbeschau mein persönliches Pandemieerleben ja gar nicht mal so übel war, ich hatte sicherlich ein paar sehr aufregende Zeiten, Monate, Jahre, wie so viele Menschen, die nicht abhängig beschäftigt sind und Verantwortung für andere Menschen tragen und sich dann plötzlich in einer globalen Pandemie wiederfinden, aber gut, das hat sich ja alles sehr gut gefügt, und die Zeit mit der Familie zuhause am Hochbeet möchte ich gar nicht missen. Nature is healing, Verdrängung is a magically powerful tool.

2024 könnte alles gut sein, aber das Jahr steht unter dem Motto Tod und Siechtum, das ist schrecklich, belastend, das muss jetzt aufhören. Lieber Pandemie. In den letzten Tagen habe ich um einen meiner längsten und besten Freunde gebangt, wir haben uns 1996 im Studium kennengelernt, seine damalige Freundin und heutige Frau, er und ich haben zusammen studiert, waren am gleichen Lehrstuhl Hilfskraft, dann am gleichen Lehrstuhl WiMis, dann ging ich ins Ausland, bin aber für die Hochzeit 10.000 Kilometer angereist, das hätte ich nie verpasst, dann haben wir zusammen Kinder bekommen und uns jahrelang gegenseitig besucht, und seit zwei Jahren arbeite ich mit der Freundin wieder zusammen, was vielleicht die beste Entwicklung meines eigentlich ganz gut florierenden Berufslebens war.

1997 besuchte meine Mutter mich mal in Münster, und dann standen wir gemeinsam vor der Uni, und da unsere Freundschaft zu etwa 90 Prozent daraus besteht, dass wir uns gegenseitig anpflaumen, sagte er in seiner hochseriösen Schwiegersohnart: „Jaja, Frau H., ihre Tochter hat ja immer schon einen sehr unsteten Lebenswandel geführt“, was ich mir übrigens 2024 noch von meiner Mutter anhören muss, das hätte H. ja auch damals gesagt, das mit dem unsteten Lebenswandel. Wir lachen etwa einmal in der Woche darüber.

Dann wurde er letztes Jahr 50 und feierte sehr spontan sehr groß, alle reisten an, ich traf Leute wieder, die ich 20 Jahre nicht gesehen habe. Kurz danach hatte er eine schwere Herz OP, vorher wollte er noch mal so richtig auf die Kacke hauen. Vor der OP haben wir uns gesorgt, sie ging gut, wir waren alle sehr froh, dann bekam er letzte Woche, genau vor der gemeinsamen Deadline von seiner Frau und mir, Schüttelfrost und Herzrasen, wollte eine Wärmeflasche und ins Bett, seine Frau fuhr ihn ins Krankenhaus, wo sie hinterher von einem Arzt erklärt bekam, dass verheiratete Männer statistisch länger leben. Wahrscheinlich würden sonst immer alle mit einer Wärmflasche ins Bett gehen. Freitag sah es noch so aus, als wäre er dort mit Antibiose gut aufgehoben, Montag war dann klar, dass die Herzklappen den Erreger abgekriegt hatten, Dienstag dann 12 Stunden OP, vor der man kein Blatt vor den Mund genommen hatte, keine leichte Sache. Also spielte ich Montag Candy Crush und dachte darüber nach, was H. mir bedeutet. Viel. Abends dann der erleichternde Anruf, OP okay, bleibt vorerst noch in Narkose, aber alles soweit gut. Mittwoch morgen dann erst alles soweit gut, dann septischer Schock.

Er scheint es zu schaffen, und das ist aus allen Gründen alternativlos. Morgen fahre ich kurz Herrn H und Ona und Fiene an die Mosel, und wenn nix dazwischen kommt, fahre ich dann wieder zurück und bringe seinen Sohn zu einer Veranstaltung, zu der er gerne gehen würde, und meine Güte, wenn wir in der Situation wären, wäre ich sehr froh, wenn jemand meinem Kind eine Freude machen würde.

Und um versöhnlich zu enden, es wird ja hoffentlich am Ende alles gut gehen, mit wenigen Ausnahmen ist das hier ja immer so, teile ich noch etwas, was ich gestern gelernt habe. Die Veranstaltung ist in Kalkar, das kenne ich aus meiner Kindheit, mein Vater hat uns irgendwann in eine Besichtigung des Kernkraftwerks gezwungen, er fand das interessant, er hat ja solche Sachen gebaut. Ich erinnere mich daran nicht, ich weiß nur, dass ich die seltene Gelegenheit viele Jahre später in einem anderen AKW noch einmal hatte, und er hatte Recht, sehr interessant. Was ich nicht wusste: Der schnelle Brüter, der nie in Betrieb genommen wurde, ist heute so ein Familien-Spaßpark, und er heißt „Kernie’s Familienpark“, und ich hoffe wirklich, dass Loriot das vor seinem Tod noch mitgekriegt hat.

Jetzt schauen wir also mal. Wenn ich am Sonntag da hin muss, kann ich ihnen bestimmt lustige Sachen von Kernie’s Familienpark berichten, wo Kernkraft und Spaß Eins werden.

9 Gedanken zu „17.05.2024“

  1. Puuuh, weiter gute Erholung für Freund H!
    Kalkar war in meiner Kindheit und Jugend Dauerthema. Ich bin in Goch aufgewachsen, also ca. 10 km von dort Richtung NL-Grenze. Aus der AKW-Bauruine einen Spaßpark zu machen (hieß auch mal „Kernwasser-Wunderland), finde ich – na ja: „morbide“ trifft es wohl.

  2. Alles Gute, unbekannterweise. Bin nicht sicher, ob Mosel eine gute Idee ist. Da ist es gerade nass und Hochwasser. Vielleicht nochmal überlegen…

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