Digital Detox my ass, so entspannend das ja alles ist, wenn man keine irrelevanten Meinungen mehr in sozialen Medien im Sekundentakt serviert bekommt und auch sonst nur noch „hochwertige“ Dinge lesen möchte, manchmal geht der Puls dennoch hoch, da kann man noch so achtsam sein, einmal nicht gut hingeguckt, zack, müssen wir über Spielregeln sprechen.
Ich rege mich jetzt erstaunlicherweise gar nicht über Friedrich Merz und seine abenteuerlich rassistischen Aussagen auf, die er ohne sich auch nur eine Sekunde zu schämen im Fernsehen mit fester Stimme vorträgt, das ist nämlich irgendwie erwartbar gewesen, und nein, ich würde gar nicht so weit gehen, zu sagen, dass Merz halt Rassist ist, ich würde so weit gehen, zu sagen, Merz ist Opportunist, und wenn man einfach mal so ausspricht, was Klaus und Lisa Müller irgendwie als Bauchgefühl mit sich rumtragen, dann macht man sich nahbar und anschlussfähig und vor allem traut man sich endlich mal, das auszusprechen, was „eh alle denken“. Daran ist doch strategisch alles gut, also für Merz, wer vielleicht ein wenig leidet unter der Taktik ist die innere Ruhe und das friedliche Zusammenleben in diesem Land, aber gut, da gucken wir jetzt mal kurz nicht so genau hin, irgendwas ist ja immer.
Wie kann es denn sein, dass diese Positionen immer wieder eine Bühne geboten bekommen? Ich bin ja recht kurz davor, auch mal irgendeinen Satz mit „meine Gebühren“ zu sagen, da ich wirklich nicht gerne Formate finanzieren möchte, in denen sich alte weiße Männer mit Privatflugzeugen hinsetzen und weniger privilegierte Grundschulkinder beleidigen, und das sogar, ohne dass das mal signifikant eingeordnet wird. Eine sehr gute Einordnung wäre ja gewesen: „Herr Merz, bei aller Freundschaft, das ist absoluter Unsinn, das ist rassistische Kackscheiße, das kann ich so nicht stehen lassen, bitte verlassen Sie die Sendung“, so wie einst Eva Herman, die ja irgendwo mal fand, unter Adolf sei auch nicht alles schlecht gewesen, und wenn mir jetzt in den nächsten 5 Sekunden noch einfällt, wo das war, schreibe ich es auf, sonst müssen Sie selber forschen – ach, Kerner war’s. Richtig.
Naja, jedenfalls ist Lanz anscheinend bei einer seiner mannigfaltigen Polarexpeditionen anscheinend irgendwas abgefroren, was jetzt fehlt, weshalb man Merz einfach irgendwelche rassistischen Positionen rausblasen lässt, die sicher auch super verfangen werden, weil die genau da einhaken, wo Leute gerne Gespräche beginnen mit „ich bin ja wirklich kein Rassist aber“. Neulich noch auf Wangerooge passiert, mit jemandem von der Bahn ein länger als nötiges (sic!) Gespräch geführt, welches erst nett und interessant war, dann länglich, und dann kam irgendwann die Einleitung „das darf man ja heute nicht mehr sagen“, und da habe ich kurz falsch, nämlich gar nicht, reagiert, und dann musste ich weg, schon so spät. Dabei wäre das ein sehr schöner Anwendungsfall einer Weisheit gewesen, die Frau N sehr konsequent umsetzt, und die ich ab sofort auch ausnahmslos immer so pflegen werde. Wenn man etwas heute nicht mehr sagen darf, dann darf man das in meiner Gegenwart nicht sagen, der Grund ist banal und naheliegend, man darf es ja nicht sagen. Wenn man kein Rassist ist, darf man nicht Grundschulkinder Paschas nennen, auch nicht, wenn man vorher damit eingeleitet hat, dass man kein Rassist ist. Wenn man kein Rassist ist, äußert man keine rassistischen Gedanken. Und wenn ich so ein Moderator mit Frostbite bin, dann kann ich halt keine politischen Gespräche führen, am Ende sagt noch einer was Falsches und ich kriege es nicht mit und reagiere falsch, das wäre ja ganz ganz schlecht für die Demokratie. Und mit der muss man vorsichtig umgehen. Eine wirklich tragische Komponente der AfD ist auch, dass wir neue Kategorien von Rechts eröffnet haben. Die, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden und von Leuten geäußert werden, die offensichtlich dumme Nazis sind, die finden wir alle schlecht und klar, das geht ja gar nicht, und die, die gesellschaftsfähig sind, weil sie ja nicht von der AfD kommen, sondern von Leuten, die einfach mal aussprechen, was jetzt hier ganz rational betrachtet los ist. Wie schlecht ist das denn?
Sie sprechen mir aus der Seele (wobei ich Talkshows nicht mehr aus eigener Anschauung kenne, da ich diese „Gespräche“ nicht aushalten kann -genau aufgrund solcher Teilnehmenden).
DAS.
danke für die wunderbare entgegnung auf diese einleitung: “ ich bin ja kein Rassist, aber…“ , ist einfach, schnell und nachhaltig. warum diesen menschen zuhören, sie widerlegen ihre einleitung und denken nicht darüber nach, welche folgen ihre reden haben. dringend finde ich inzwischen die sensibilisierung der jungen moderatoren und – innen, die alten sind zu eingefahren und brauchen zuschauerschwund. die nähe zur macht korrumpiert.
Es ist leicht, jemanden als Rassisten zu bezeichnen.
Meine Frage ist aber: Was genau an der Aussage von Friedrich Merz halten Sie für rassistisch? Das Verhalten einiger Kinder, daß er beschreibt? Den kulturellen Hintergrund, auf den er es (scheinbar oder tatsächlich? ) zurückführt? Das Wort „Pascha“? Was änderte sich, wenn man von „Prinzen“ oder „kleinen Königen“ spräche?
Mein Katz ist ein Pascha. (Auf französisch klingt das noch viel schöner.)
Meine Tochter ist Mittelschullehrerin. Ich gebe ein paar Stunden Unterricht in der Grundschule, in einem Fach, das zumindest in dem bewußten kulturellen Umfeld eher nicht gefragt ist.
Wir kennen beide diese Pascha-Kinder. Kinder, die zuhause angebetet, bedient und auf Händen getragen werden – meine Mutter nannte solches elterliche Verhalten „Zucker in den Hintern blasen“ – die zuhause das Sagen haben und sich in der Schule nichts sagen lassen. Sollte es doch jemand wagen, stehen die empörten Eltern beim Schulrat.
Solche Kinder haben wir mittlerweile selbst auf dem Dorf in jeder Klasse, und sie stellen nicht nur die Nerven der Lehrkräfte auf ständige harte Probe, sondern hindern auch die anderen sehr effektiv am Lernen, von der gestörten Gruppendynamik gar nicht geredet.
Nein, diese Kinder gehören oft nicht zu der „vermuteten“ kulturellen Gruppe. Sie tragen oft klassische europäische Namen, die im katholischen Kalender stehen.
Und ja, sie sind erst einmal Opfer einer falschen Erziehung und eines tiefen Irrtums darüber, was Liebe ist, aber auch Täter gegen ihre Mit-Kinder und die Lehrkräfte.
Wie soll man nun damit umgehen? Die Augen verschließen, weil es nicht ins Weltbild paßt? (Dann bitte „Biedermann und die Brandstifter“ lesen und verstehen.) Oder das Übel benennen und nach Lösungen suchen?
Eine gute Lösung kann freilich nicht darin bestehen, diese Kinder völlig in die Ablehnung und die Konfrontation zu treiben. Das kann man – wenn man dazu bereit ist – in Frankreich sehen.
Eine gute Lösung muß Eltern wie Kindern klarmachen, daß Menschen – eigene Kinder, andere Kinder, Erwachsene – keine Objekte sind, weder Vieh noch goldenes Kalb, sondern Menschen, mit Rechten und Pflichten gegen die anderen, die in einem Gleichgewicht entsprechend der persönlichen Fähigkeiten stehen müssen. Dazu gehört auch, das eigene Schubladendenken zu hinterfragen und grundsätzlich die Möglichkeit zuzulassen und in Betracht zu ziehen, daß der andere vielleicht doch nicht so falsch liegen könnte.
In diesem Sinne: überzeugen Sie mich. Aber, da bin ich altmodisch, mit Argumenten und den Mitteln der Vernunft.
Irgendwo auf tiktok lächelte unlängst so ein junger Mensch in die Kamera, dass diese Leute, die früher ihre Sätze mit „ich bin ja kein Rassist, aber …“ begonnen haben, bevor sie rassistische Äußerungen raushauten, heute statt dessen ihren Dreck mit „ich will ja nicht klingen wie einer von denen, die immer sagen ,ich bin ja kein Rassist, aber …’, aber …“ einleiten — und dass wir daran den Fortschritt erkennen können. Der Weg scheint noch sehr weit.