10.07.2023

Am ersten Abend schrieb ich Herrn H, und ich glaube auch auf Trööt: Der Unterschied zwischen dem Club 2022 und 2023 lässt sich gut in Fashion ausdrücken. Das beliebteste Kleidungsstück 2022 war das weiße Ralph Lauren Poloshirt (kleines Pony), 2023 war es der pinke Tanga mit Arschgeweih drüber. Eine Sache verwunderte mich bei der Anreise allerdings: Sehr viele Menschen hatten so Signature Dinge teurer Marken, von denen ich nicht gedacht hätte, dass das im Rahmen der Möglichkeiten sei. Die Dior Strandtasche. Die kleine Chanel-Tasche, von der ich zufällig weiß, dass sie 6.000 Euro kostet, allerdings nicht, weil ich eine habe, wohlgemerkt. Ich finde das Quatsch. Ein Blick in die Club-Läden brachte schnell Licht ins Dunkle: Dort konnte man all die Sachen kaufen, die Preise lagen irgendwo zwischen 20 und 50 Euro, der große Vuitton Shopper lag sogar bei 80. Ich habe lange darüber nachgedacht, was mich dazu bewegen könnte, das zu kaufen, und die Antwort ist recht einfach: Nichts. Für Dinge, die ich lange nutze, gebe ich durchaus viel Geld aus. Ich freue mich über die Qualität der Verarbeitung bei hochpreisiger Kleidung, die in der EU produziert wird, aber seit vermutlich immer gibt es eine goldene Regel: Nie darf der Name draufstehen, das ist mir selbst zu doof, ich bin keine Litfaßsäule. Ich kaufe die Dinge für mich, nicht für die Kastenzugehörigkeit. Was bewegt also Leute, ein Poloshirt mit dem Big Pony für 10 Euro zu kaufen? Ich komme zu dem Ergebnis: Der Wunsch, reich zu wirken. Ich verurteile niemanden, es ist alles gut, jede*r soll tragen, was beliebt. Ich kann allerdings Menschen nur ermutigen, sich mal einen Tag in ein Cafe auf der Königsallee zu setzen und Leute zu beobachten. Man sieht, wer teuer gekleidet ist. Ganz ohne Big Pony. Die beiden Gruppen schließen sich nahezu aus, und die 6.000 Euro Chanel über dem H&M Kleid wirkt bestenfalls unauthentisch.

Aber wie gesagt: Können alle machen, was sie wollen, ist mir egal. Was mir nicht egal ist, ist die Diskussion über das Elterngeld, die seit Tagen in Deutschland geführt wird, und zu der ich eigentlich gar nix sagen wollte, weil ich auch selber gar nicht mitdiskutieren möchte (daher interessiert mich auch nicht die Gegenposition, ich denke, ich habe alles zur Kenntnis genommen, es aber für Quatsch befunden), aber ich möchte gerne folgende Gedanken dazu äußern, und das, Titten auf den Tisch, als Person, die das Elterngeld nicht bekommen würde.

  1. Menschen mit einem Jahreseinkommen von 180.000 Euro brutto empfinden sich sicherlich manchmal nicht als reich, man vergleicht sich automatisch, und es gibt immer Menschen im Umfeld, die 200.000 Euro brutto verdienen und noch drei vermietete Mehrfamilienhäuser geerbt haben. Aber abgesehen von dem eigenen Empfinden, und ja, ich bin viel weniger reich als Friedrich Merz, es ist nämlich komplett ausgeschlossen, dass ich mir zusätzlich zu dem Premium-Elektroauto jetzt noch ein Flugzeug kaufe, muss allen klar sein: Man kann auskommen, und man kann auch zurückstecken, und man hat keine Sorgen, zumindest keine kurzfristigen finanziellen. Und: Man ist mit hohem Einkommen nicht automatisch befreit von der Notwendigkeit, sorgfältig zu planen und nicht in den Tag hinein zu leben. Als ich schwanger wurde, kündigte ich meinen Job, zog zurück nach Deutschland und ging davon aus, dass ich kein Elterngeld erhalte. Herr H war sehr, wirklich sehr weit entfernt von der neuen Kappungsgrenze, aber wir reden von einem Jahr, das überbrückt werden muss. Selbst wir, die damals planten, mit einem okayen, aber nicht fürstlichen Gehalt zu überleben, haben uns nicht abschrecken lassen. Wenn wir best case davon ausgehen, dass die 180.000 Euro brutto zu gleichen Teilen über die Eltern verteilt sind, bliebe dann ja immer noch ein Elternteil übrig, das 90.000 brutto verdient, und davon kann man selbst in Düsseldorf überleben für ein Jahr. Bleibt das Argument, dass solche Paare ja oft eine Hypothek mit 4.000 Euro im Monat abtragen. Dazu Folgendes.
  2. Wir haben 2010 angefangen, uns Gedanken über den Erwerb einer Immobilie zu machen, und haben fünf Jahre intensiv gesucht. So schwierig war das in erster Linie, weil wir mit der Berechnung des möglichen Kaufpreises diverser Banken sehr unzufrieden waren. Wer sich mit Anfang 30 ein Haus oder eine Wohnung kaufen möchte, sollte sich vielleicht darüber im Klaren sein, dass sich noch viele Dinge ändern können, wir waren solche Leute. Wir hatten damals durchaus den Plan, vielleicht noch ein Kind zu bekommen, und unsere Theorie war die: Wir sollten keine Immobilie kaufen, die nur dann abbezahlt werden kann, wenn beide Partner voll arbeiten und Geld verdienen, denn wer weiß, was noch kommt? Man bekommt ein behindertes Kind, ein Kind wird sehr krank, vielleicht wird ein Partner sehr krank, langer Rede kurzer Sinn: Die Banken rechneten aus, was unser Haus kosten darf, indem zwei volle Gehälter plus Kindergeld als Einkommen eingerechnet wurden, wir rechneten aus, was unser Haus kosten darf, indem wir ein volles Gehalt ohne Kindergeld einrechneten, und schon wäre an der Stelle egal gewesen, wenn es kein Elterngeld gegeben hätte. Und jetzt sagen Sie nicht „Ja, aber in der Stadt“, ich wohne in Düsseldorf. Und der Punkt ist einfach der: Wenn ich mit 32 4.000 Euro Hypothek tilgen muss im Monat und dann kein Kind mehr ernähren kann, naja, dann hat man falsch geplant.
  3. Das Argument mit der Gleichstellung geht wirklich weit an meiner Lebensrealität vorbei. Zu Beginn unserer Ehe haben wir sehr gleiche Einkommen gehabt, über die Jahre hat sich das sehr weit auseinanderentwickelt. Das Argument, dass eine Frau, die in einer Beziehung lebt, in der kein Elterngeld gezahlt wird, weil man über 180.000 Euro Jahreseinkommen hat, dann nicht mehr zum Frisör gehen kann, ohne ihren Mann anzubetteln, sagt mehr über das gängige Familienbild als über die Realität, die ich in meinem Leben sehe. Und – und das hätte ich oben besser noch mit angebracht – es ist ja auch so, dass man sich ab einer gewissen Einkommensklasse gut einschränken kann. Ich habe in den letzten 10 Jahren sehr lange keinen Unterschied gefühlt zwischen den finanziell sehr harten ersten Berufsjahren und dem Status Quo, mit dem Unterschied, dass man 1000 Stellschrauben hat, an denen man einsparen kann. Ich erinnere mich sehr gut an die Jahre mit sehr wenig Geld, und wenn ich einfach weniger in Urlaub führe und seltener den Lieferthai bestellen würde, weil ich lang arbeiten muss, dann könnte ich damit 1.800 Euro zusätzliches Budget einsparen.
  4. Bleibt das Argument mit der beruflichen Perspektive, die gerade bei hochausgebildeten Menschen angeblich viel attraktiver wird, wenn man für ein Jahr Elterngeld bezieht. Vielleicht bin ich zu dumm, aber ich verstehe keinen einzigen Punkt von diesem Argument. Wenn das Elterngeld ursprünglich dazu gedacht war, den Frauen (ja!) einen Anreiz zu schaffen, früh wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, dann hat man mich an der Stelle verloren. Noch viel mehr Anreiz ist es doch, wenn man 300 Euro statt 1.800 Euro bekommt, etwa 1.500 Euro mehr Anreiz pro Monat. Und wie genau der Karriereweg erleichtert wird durch das Elterngeld, ist mir auch schleierhaft. In meiner beruflichen Welt ist es so, dass genau in der Altersperiode, in der man Kinder bekommt, hop oder top ist. Wenn die Frau oder der Mann oder wie immer man gelesen wird Angst hat, in dem Jahr den Anschluss im Unternehmen oder in der Wissenschaft oder wo auch immer zu verlieren, dann ist mit Geld für 12 Monate (wobei ja 2 Mutterschaftsgeld und gar nicht Elterngeld sind, zumindest war das so früher) ja wirklich überhaupt nicht geholfen, dann hat man nämlich vielleicht das Geld noch mitgenommen, und danach hat man den Anschluss verpasst. Vielleicht müsste der Staat sich mal Gedanken darüber machen, wie den Menschen, die Angst haben, berufliche Nachteile durch das Kriegen von Kindern zu erleiden, alternativ geholfen werden kann. Mein erster Gedanke wäre da Kinderbetreuung. 2009 war es nämlich zum Beispiel so, dass ich ja die ersten sieben Monate der Schwangerschaft noch in den Niederlanden gelebt und gearbeitet hatte, und dort bekommt man quasi in der 12. Woche der Schwangerschaft schon den Kindergartenplatz für die 12. Woche nach der Geburt. Automatisch, den hat die Begleithebamme beantragt. Für 45 Stunden. In diesem System kann jedes Elternteil sich selber überlegen, was an dem Punkt jetzt passieren soll: Will ich nach dem Mutterschutz wieder voll arbeiten, und damit ist dann hoffentlich sichergestellt, dass man den Anschluss nicht verliert? Dann bitte, das Kind ist ja in der Kita. Oder will ich lieber mehr Zeit mit dem Kind verbringen, weil ich weiß, dass ich an meinen Arbeitsplatz zurückkehren kann, oder weil meine Qualifikationsphase abgeschlossen ist oder oder oder? Auch super, kriegt ein anderes Kind den Kitaplatz. Ich hatte jedenfalls schon 6 Monate vor der Geburt einen Kitaplatz, und das hat mir als Mutter ermöglicht, autark eine Entscheidung zu treffen. In Düsseldorf habe ich übrigens mit 14 Monaten einen Halbtagsplatz in einem Privatkindergarten bekommen und war sehr glücklich. Ich habe damals 1.300 Euro pro Monat Kitabeitrag bezahlt. So wichtig war es Deutschland damals, dass ich wieder arbeiten konnte.

Wie gesagt, ich weiß gar nicht, ob das heute alles noch so ist, ich weiß aber Folgendes. Die Diskussion darüber, ob Menschen jenseits der 180.000 Euro Jahresbrutto reich oder Mittelschicht sind, beschämt mich, weil es unterm Strich wirklich vollkommen egal ist. Wichtig ist doch die Frage, ob knappes staatliches Geld, das sinnvoll verteilt werden muss, sich an den Stellen, wo es hingeht, wirkmächtig entfalten kann. Und da habe ich schwere Zweifel, ob wir Menschen, deren Partner*innen Wirtschaftsanwälte sind, einen Fiseurbesuch ermöglichen wollen, oder vielleicht lieber Kindern in prekären Verhältnissen eine Grundsicherung ermöglichen. Es beschämt mich. Ich empfinde mich nicht als reich, aber als autark, und das ist alles, was es braucht. Meine Familie kommt klar, ohne Elterngeld, Kindergeld, Tankrabatt und Strompreisdeckel. Und dabei finde ich es toll, dass es das gibt, aber klar ist auch: Wenn das Rettungsboot besetzt werden muss, blase ich die Schwimmflügel auf und freue mich, dass die, die keine haben, ins Boot können. Zudem muss man übrigens auch gar nix beantragen, das ist richtig, ich habe einst einen Job gekündigt und bis zum Antritt des neuen Jobs kein Arbeitslosengeld beantragt. Geld ist endlich, und ich möchte gerne, dass der Staat Geld vernünftig einsetzt. Das ist immer eine Möglichkeit, aber das ist natürlich wieder das mit der Eigenverantwortung, und naja, da haben wir ja gelernt, dass das nix ist.

8 Gedanken zu „10.07.2023“

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag! Erstens, Sie sprechen mir aus der Seele, zweitens genau das habe ich vor einer halben Stunde einer Bekannten geschrieben – allerdings längst nicht in so ausgefeilter Form – die Rentnerin ist und deren Tochter und Schwiegersohn mit Sicherheit unter der 150.000-Grenze mit ihrem Einkommen liegen und die auch keine Kinder haben… Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wieso Menschen, die es nicht betrifft, sich darüber Sorgen machen, ob die, die es nicht brauchen, es bekommen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

  2. Danke für dieses Klarstellung, genau so denke ich auch. Ich sehe, dass niemand in die Nachbarländer schaut bei der Suche nach Lösungen(Elterngeld, KITA, Bürgergeld, soziale Rentenversicherungsgrundbeiträge…). Die Schere der Einkommen geht immer weiter auseinander, um aus diesem System der staatlichen Fürsorge bei kleinem Einkommen auszubrechen braucht es Jahrzehnte(vielleicht eine Generation und Zufall?) Gleichzeitige Zahlungen an Menschen, die der Zuschüsse nicht bedürfen, ist sträflich.

  3. -> Mein erster Gedanke wäre da Kinderbetreuung.

    Ja, ja, ja und ja. Wollte ich nur kurz sagen, obwohl ich normalerweise nichts in fremder Leute Blogs schreibe (in die ich irgendwann eher zufällig geraten bin auf der Suche nach irgendwas in Düsseldorf und mich hervorragend unterhalten fühlte, während ich erkennen musste, dass ich das Gesuchte hier überhaupt gar nicht finden werde). Also erst einmal Guten Tag.

    Jedenfalls: irgendwo las ich heute vom „Wunsch“ der Eltern nach Betreuungsangeboten. Das ist kein Wunsch, das ist ein Bedarf und der Staat hat dafür zu sorgen, dass dieser Bedarf gedeckt wird. Bevor das nicht der Fall ist, braucht man über Luxussubventionen für Leute, die diese Subvention nicht brauchen, gar nicht erst nachzudenken. Ja, da könnte man neben dem Elterngeld auch an viele andere Subventionen rangehen, keine Frage. Aber hier ist der Zusammenhang nun einmal sehr offensichtlich.

  4. Ich finde es auch bedenklich, dass es Menschen gibt, die zur Finanzierung der Bekämpfung von Kinderarmut nicht bereit sind, auf staatliche Förderung trotz ohnehin schon extrem hoher Einkommen zu verzichten. Vor 2006 gab es statt Elterngeld das Erziehungsgeld, das nur für geringe Einkommen zur finanziellen Unterstützung gezahlt wurde und auch nur ca. 300-400 Euro betrug. Bei unserem ersten Kind 2004 haben wir noch genau 0,- Euro nach dem Mutterschutz bekommen. Dass es quasi eine Kompensation für ausfallendes Gehalt gab, war erst mit dem Elterngeld ab 2007 der Fall. Ziel war es hauptsächlich, mehr, vor allem akademische, Mütter zum Nachwuchs zu animieren.
    In den höchsten Gehaltsgruppen wird man bei Geburt eines Babys auch ohne Elterngeld ganz bestimmt nicht plötzlich verarmen; und meine Vorstellung von Familie war auch immer, dass das vorhandene Geld geteilt wird – ich hatte nie das Gefühl, der eine muss beim anderen „betteln“.

    • Keine Kritik (ich weiß, das kann missverstanden werden): Dieses „gebildete/akademische Frauen sollen mehr Kinder bekommen“ (in gewissen Kreisen in den USA vielleicht: „weiße Frauen sollen mehr Kinder bekommen“) ärgert mich schon seit Jahren. Warum sorgen wir nicht dafür, dass auch das Kind aus „einfacheren“, ärmlichen, prekären Verhältnissen eine Förderung bekommt, durch die es seine Talente entfalten kann (bzw. erst mal erkennt, dass es Talente hat und dass man etwas daraus machen kann)?

  5. Genau! Unterschreibe ich alles!

    Als Fachkraft in einer Kita möchte ich noch hinzufügen, dass es mir unbegreiflich ist, wie Parteien, die vermeintlich die Wirtschaft im Interesse haben, keine Kindergrundsicherung wollen. Keine sinnvollen Investitionen in dieses Bildungssystem. Es wird mit Deutschland bergabgehen, aber nicht wegen der „Migranten“, sondern weil hier immer noch Politik für die Vergangenheit gemacht wird und nicht für die Zukunft.

    Wir sind übrigens weit von 180000 brutto entfernt und haben ein Kind und ein Haus genauso finanziert. Mit dem, was wir sicher haben…

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