In den letzten Wochen haben wir sehr oft gehört, wie schlimm es sei, dass man aus „der Kultur“ nichts höre zum schrecklichen Terrorangriff der Hamas und all dem Leid, das seitdem über die Bevölkerung von Israel und Gaza gekommen ist. Ich muss an der Stelle wiederholen: Für mich ist das fein. Nicht vollumfänglich, ich möchte nichts Falsches sagen, man kann bei dem Thema viel Falsches sagen, schon allein das ist vielleicht Grund für Leute in der Öffentlichkeit, einfach mal nichts zu sagen. Ich finde das erfrischend. Die letzte große Aktion aus der Kultur, die mir einfällt, ist diese unsägliche Corona Kampagne von unter anderem Jan-Josef Liefers, ich kann seitdem nicht mehr gut Tatort gucken, und der Münster-Tatort war von den 0 Lieblingsfilmen, die ich habe, noch der liebste. Sie möchten von mir nicht den Nahostkonflikt erklärt kriegen, ich habe keinerlei Legitimation und keine Berechtigung, den Konflikt einzuordnen, und daran halte ich mich. Also ordne ich das nicht ein. Genauso hält es vielleicht manch andere Person, Sophie Passmann kann sehr gut über Feminismus sprechen, dass sie uns jetzt nicht den Nahostkonflikt einordnet, finde ich vollkommen akzeptabel. Den automatischen Gedankensprung, dass sie deshalb antisemitisch ist, habe ich nicht vollzogen. Und Sie haben verstanden, dass Sophie Passmann für alle anderen mit steht, die sich auch nicht geäußert haben, zumindest nicht darüber hinaus, dass das alles ganz schrecklich ist, das ist eine Aussage, die politisch ganz unverfänglich ist. Weniger unverfänglich war die Aussage von Richard David Precht, Sie wissen, ich bin Fangirl, er hat gute Haare, aber das mit der Philosophie, ich hatte das schon mehrfach bemängelt. Philosophen-Darsteller, ich denke, das trifft es besser. Wenn Sie mal sehen wollen, wie sich Philosophinnen mit dem Thema auseinandersetzen und wie sie mit sich selber kämpfen dabei, gucken Sie sich doch Carolin Emcke dazu an. Das bringt den Unterschied sehr schön auf den Punkt.
Ich weiß gar nicht, ob es stimmt, dass „die Kultur“ sich der schweren Themen nicht annimmt. Mein Fenster zur „Kultur“ ist das Düsseldorfer Schauspielhaus, und da habe ich nicht das Gefühl, dass das Haus sich nicht zu den schweren Themen positioniert. Sei es der Krieg in der Ukraine, ich erzählte davon, oder halt heute, mit der sehr spontanen Lesung Gegen jeden Antisemitismus. Vor zwei Tagen kam die Einladung, ich fragte Herrn H., ob wir hingehen, und dann kamen wir heute um 17.30 Uhr im Foyer des Schauspielhauses an, und die improvisierte Bestuhlung war bereits besetzt. Hektisch wurden neue Stühle geholt, Menschen holten sich Hocker und Poufs, Intendant Wilfried Schulz war dem Herzinfarkt nahe, dann wurden Menschen in den ersten Stock auf den Balkon geschickt, und dann war das Schauspielhaus einfach brechend voll, und das Who is Who des Ensembles las. Die Textauswahl war perfekt, von Augenzeugenberichten aus der Reichspogromnacht über kurze Texte vom Juden Heinrich Heine über Zeitungsartikel aus ZEIT und SZ aus den letzten Wochen. Ich weine ja immer, aber es hat mich sehr ergriffen. Wie alle anderen auch. Die vorgeschaltete Begrüßungsrede von Dramaturg Robert Koall war gezeichnet vom Ringen um Worte, sie hatten sich vorher überlegt, dass 50 Gäste ein Erfolg sei. Und er rang in genau dem richtigen Ausmaß um Worte, die jedoch keinen Zweifel offen ließen, dass der Schutz Israels und aller Juden Staatsräson ist, ohne dabei zu vergessen, dass das auch in linken Kreisen keine Selbstverständlichkeit ist, und dass das nicht bedeutet, dass wir kein Mitgefühl für die Zivilisten in Gaza haben dürfen.
Die Worte waren alle richtig, die Texte waren alle richtig, die Menschen – leider können weder Herr H. noch ich gut schätzen, aber ich sage jetzt mal 400 vielleicht – waren alle richtig, die Tatsache, dass zum ersten Mal in meiner Wahrnehmung Sicherheitsleute im Raum waren (nein, stimmt nicht, als ich bei Angela Merkel war, waren die auch da), zeigte, wie richtig das Thema platziert war, und ja, vielleicht ist die Kultur in den Podcasts und Billoformaten dieser Nation zu leise. Für mich ist das fein, aber ich habe andere Quellen. Mario Barth muss mich nicht aufklären. Aber der Satz, dass die Kultur schweigt, ist zumindest in Düsseldorf falsch. Herr H. ist übrigens gerade noch zur Großen Synagoge gefahren, wo um 22.30 Uhr Mischa Kuball daran erinnert, dass Nie Wieder jetzt ist. Ich möchte, dass das genau so friedlich wird, wie im Schauspielhaus.
Vielen, vielen Dank für Ihren Text!