07.11.2024

Endlich mal Leben in der Bude!

Okay, wir alle kämpfen mit irgendwas mit Vitamin D und November und generell ist das die Zeit des Jahres, ich kürze ab: Trump.

Ich habe in den letzten Wochen viel falsch gemacht. Heute noch, zum Beispiel, da habe ich mich – wir sprechen hier ja nicht über Altersvorsorge, aber meine sehe ich in erster Linie in einem Aktienportfolio – nämlich in der Sekunde von einer Aktie getrennt, weil ich die emotional weg haben wollte, wo der bisherige Verlust ausgeglichen war, obwohl ich wusste, dass das zu früh ist, und jetzt hadere ich (das Kind nannte es „ethisch gut, finanziell fragwürdig“), denn genau jetzt, 4 Stunden später, hätte ich nämlich für mindestens einen gesamten Sommerurlaub mehr verkauft, aber dafür bin ich ethisch auf der ganz sicheren Seite. Dass man jetzt von Trump profitiert, kann ich schlecht emotional ausbalancieren, also lasse ich es sein. Und hadern ist ja nicht mein Stil, but Sommerurlaub.

Desweiteren habe ich einen wirklich großen Fehler gemacht, den ich professionell nicht hätte machen dürfen (da war es aber egal). Ich weiß, dass Menschen nicht danach wählen, was in meinem Weltbild richtig ist. Ich weiß auch, dass Medien Bilder kreieren, die nicht die Realität abbilden. Wenn dann zwei Sachen zusammen kommen, nämlich dass ich felsenfest überzeugt bin, auf der richtigen Seite zu stehen und ich mich dann stundenlang jeden Tag mit der Sichtweise von Medien beschäftige, die die gleiche Überzeugung haben, dann bin ich natürlich am Wahltag fucked. Offensichtlich bin ich nicht alleine auf der Welt, aber ich habe keine Sekunde wirklich damit gerechnet, dass Trump die Wahl gewinnt. Es ist ja auch verrückt: Harris hat alles richtig gemacht, Trump hat alles falsch gemacht. Und das sage ich mit breiter Brust. Ich habe die letzten 100 Tage sehr genau verfolgt, und wenn man einfach nur guckt, was die Beiden gemacht haben, dann kann es faktisch keine Frage geben, wer gewinnt. They’re eating the dogs ist vielleicht das, was am stärksten durchgedrungen ist, aber ich möchte behaupten, dass das noch lange nicht das Dümmste war, was Trump in den letzten Wochen gemacht hat. Im Kontrast mit Harris, die – und das sage ich auch mit breiter Brust – eine wirklich glanzvolle Kampagne durchgeführt hat. Ich habe mir alles angeguckt, alle Ads, viele Auftritte, den gesamten Shebang, weil ich dachte, dass ich davon lernen kann. Am Ende bleibt übrig, dass ich jetzt wieder einmal gesehen habe, dass man alles richtig machen kann, am Ende erreicht man aber die Leute nicht, die hinterher wählen, und wenn Leute ein Bauchgefühl haben, zum Beispiel, dass die Wirtschaft schlecht ist, dann ist das so, dann wählen sie entsprechend, und dann kann man eventuell machen, was man will, das zählt am Ende nicht, zur Not wählt man dann den Despoten, das fühlt sich besser an.

So gesehen habe ich jetzt viele Fragen, und das Tolle ist, dass ich in Echtzeit dabei zusehen kann, wie andere Leute, die sich sogar faktisch engagiert haben, jetzt verarbeiten, was das für die Demokratie heißt, was das für Wahlkämpfe heißt, was das für uns als Nationen heißt. Denn die Parallelen sind, zumindest in meinem Kopf, nicht unähnlich. Es gab 1.000 gute Gründe, Trump nicht zu wählen, vielleicht sogar mehr. Dass Menschen wie Liz Cheney und viele, die unter ihm gearbeitet haben, aufgestanden sind und vor ihm gewarnt haben – man würde denken, dass das Wähler:innen zu denken gibt. Tut es nicht. Inflation ist Scheiße, und wenn man denkt, es braucht jetzt jemanden, der nicht so lustig links ist, um das zu regeln, gut, dann halt den Despoten.

I’m rambling. Egal. Long story short: Ich habe mir vor ungefähr zwei Wochen, als ich langsam sehr überzeugt war, dass das ja nicht schiefgehen kann, überlegt, dass ich mich emotional darauf vorbereiten müsste, dass das theoretisch auch schiefgehen kann. Hab ich nicht gemacht, das war dumm, entsprechend fassungslos habe ich vorgestern Nacht vor der Bulwark-Übertragung gesessen (ähnlich fassungslos übrigens, wie die Journalist:innen selbst, die waren auch nicht vorbereitet). Dass Trump nicht einfach nur gewinnt, sondern mit dem besten republikanischen Ergebnis seit den 80ern, macht es vielleicht einfacher, wir müssen nämlich nicht darüber nachdenken, was im Detail schiefgegangen ist, wir können einfach festhalten: Nichts von dem, was die Kampagne transportieren wollte, wurde transportiert.

Und das ist fast wieder gut für mich, ich kann mich jetzt nämlich mit dem Thema auf einer ganz unemotionalen Ebene auseinandersetzen. Ich mache beruflich politische Kommunikation, und es ist keine neue Erkenntnis, dass es zunehmend schwieriger wird, die Leute zu erreichen, die man erreichen muss. Christian Dürr auf TikTok mit ganz vielen jugendsprachlichen Slangwörtern wird da nicht helfen, das ist nämlich – entschuldigen Sie – cringe. Politische Kommunikation muss komplett neu gedacht werden, und ich glaube, es war Bill Clinton, der sagte, Kommunikation von rechts ist leichter als Kommunikation von links. Ich werde noch ein bisschen weiter nachdenken und hoffentlich zu Ergebnissen kommen. Trump und Merz, ich weiß nicht, ob ich dafür bereit bin.

5 Gedanken zu „07.11.2024“

  1. Ich freue mich sehr auf die Ergebnisse Ihres komplett neu Denkens politischer Kommunikation! (Und erwarte natürlich nicht, dass sie die schon übermorgen präsentieren. Nächste Woche oder so reicht auch.)

  2. danke für die stichhaltige analyse, ich bin für beide männer nicht bereit, werde es aber ertragen müssen. und statt uns von der situation lähmen zu lassen, sollten wir uns unserer kraft und erfahrung besinnen. dann werde ich halt mit dem rollator zur demo gehen, wenn es notwendig wird. ich bin rentnerin und habe zeit, die klimaveränderungen sind jetzt schon gravierend.

  3. Mir geht das bei nahezu jeder Wahl so. Immer nehme ich mir vor, mit dem Schlimmen und Schlimmsten zu rechnen und bin trotzdem jedes verdammte Mal erneut enttäuscht. Und das seit – glaube ich – 1980 wo ich auf irgendeiner Wahlparty völlig entsetzt auf die vielen CDU-Stimmen schaute. Ich durfte 1976 das erste Mal wählen (damals natürlich noch das berühmte kleinere Übel SPD 😊)
    Keine Ahnung warum es mir so schwer fällt, die Realität vorher innerlich zur Kenntnis zu nehmen, intellektuell weiß ich es ja, dass Argumente scheinbar keine Wirkung haben.
    Ich hoffe, du lässt uns an deinem Umgang damit teilhaben, vielleicht lerne ich ja etwas.

  4. Ich glaube, es ist weniger Bauchgefühl, als dass man den Leuten professionell Unsinn einredet, sie manipuliert. Jahrhundertelang gab es eine umfassende Verbreitung von Informationen nur über Medien, wo Journalisten gefiltert und eingeordnet haben. Heute ist die Hälfte der Menschen für Qualitätsmedien nicht mehr erreichbar, weil alles Fake News. Die informieren sich nur noch „alternativ“. Fakten zählen nicht mehr, ganz egal, wie sehr sie sich beweisen lassen.

    In den USA haben sich laut Analysen viele daran gestört, dass vieles teurer geworden ist. Inflation also. Aber die Inflation liegt bei 2,4 %. Das Problem ist weitgehend gelöst. Die Löhne steigen wegen faktischer Vollbeschäftigung schon lange wieder stärker als die Preise. Und dann wählt man wegen Inflation jemanden, der Massen-Deportationen verspricht und sämtliche Importe mit Zöllen zwischen 10 und 60 % zu belegen. Beides wird zwingend die Inflation hochtreiben. Man fällt darauf herein, dass angeblich China und die anderen Exportnationen die Zölle zahlen, was bizarrer Unsinn ist.

    Man beklagt die mangelnde Sicherheit und zu viele Morde und wählt dann einen verurteilten Vergewaltiger und Kriminellen, der für mehr Waffen ist, wodurch jedes Jahr fast 50.000 Menschen in den USA sterben und der offen ankündigt, die Justiz für seine persönlichen Rachefeldzüge und zum eigenen Vorteil zu missbrauchen.

    Das ist alles irrational. Wenn man davon ausgeht, dass sich die breite Masse mit ihrer Wahlentscheidung nicht selbst schaden will, kann es dann eine andere Ursache geben, als dass die Leute uninformiert und manipuliert sind? Ein paar „Spinner“ gab es immer, aber wenn heute die Hälfte der Menschen irrational wählt, dann kann Demokratie nicht mehr funktionieren. Dann ist die Demokratie fundamental kaputt. Das eigene Haus brennt an einer Ecke. Es gibt keinen Konsens mehr, dass es brennt und man jetzt selbstverständlich die Feuerwehr ruft. Die Hälfte ist überzeugt, dass nichts besser ist, als jetzt 5.000 Liter Heizöl zum Brand liefern zu lassen.

    Schlimmer noch: Es gibt so viele schlaue Köpfe, die viel mehr wissen als ich, aber bei keinem einzigen war bislang eine realistische Strategie zu finden, was man dagegen machen kann. Bestenfalls gibt es unkonkrete Aufrufe: Nicht verzagen! Weiterkämpfen!
    Wie? Mit welcher Aussicht auf Erfolg? Wie kann man die Uninformierten und Manipulierten wieder erreichen und überzeugen?

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