05.01.2023

Kennen Sie noch Heide Simonis? Die hatte Stil. Mit großem Interesse verfolgte ich 2005 den Heide-Mord in Schleswig-Holstein, und das, obwohl ich eine im Ausland lebende Rheinländerin war, so faszinierend fand ich das ganze Geschehen. Sollten Sie sich nicht erinnern: Die Landtagswahl ging sehr knapp aus, die Dänen, also der SSW, sprachen sich für eine rot-grüne Minderheitsregierung aus, dann wurde gewählt, Simonis gegen Carstensen, und in vier Wahlgängen wurde Simonis nicht gewählt. Ich war begeistert. Also nicht zwingend, weil sie nicht gewählt wurde, sondern weil das einfach so total unglaublich war. Einmal? Okay. Dann setzt man sich anschließend mit den Leuten, die eine wählen sollen, zusammen, redet irgendetwas, das dazu führt, dass dann alle lieb sind, und dann wird alles gut. Beim zweiten Mal hätte ich (und das war vermutlich das, was mich ganz besonders an der Geschichte interessiert hat: Wie hätte ich reagiert in der Situation?) dann wahrscheinlich gesagt, dass jetzt mal gut ist, der Denkzettel ist verstanden, okay, jetzt aber alle lieb sein, und dann wird man wieder nicht gewählt, und ich glaube, naja, ich bin mir fast sicher, dann wäre ich raus gewesen. So ein Ministerpräsidentinnengehalt ist natürlich fürstlich, aber nichts, wofür ich mich ein drittes Mal nicht wählen lassen würde. Oder ein viertes. Meine Güte. Okay, sie hatte zumindest soviel Stil, dass sie nicht *fünfmal* nicht gewählt wurde, ich bin mir auch nicht sicher, ob das noch Denkzettelcharakter hatte, oder ob es einfach aussichtslos war. Simonis war jedenfalls nach vier Wahlgängen raus, ich wäre nach zwei raus gewesen, aber ich habe einen schönen Job, ich hätte dann einfach was Vernünftiges gemacht.

McCarthy wurde, so las ich gerade, auch im siebten (!) Wahlgang nicht zum Speaker of the House gewählt. Verrückt. Ich habe so viele Fragen. So viele. Eine, und das ist vielleicht gerade die allerwichtigste, ich sehe sie in der Berichterstattung allerdings noch nicht beantwortet: Kann das jetzt für immer so weitergehen? Jeden Tag drei Wahlgänge, immer für die gleiche Nase, die dann jeden Tag dreimal nicht gewählt wird, und dann. Ja genau. Und dann? Irgendwann ist dann der Tag mit dem dreihundertersten, dreihundertzweiten und dreihundertdrittsten Wahlgang. Vielleicht.

Ich habe so viel von dem System nicht verstanden. Es gibt ja einen demokratischen Kandidaten, der jede einzelne Abstimmung gewinnt, wenn ich das richtig sehe, weil aber ja McCarthy gewinnen soll, wird so lange weitergewählt, bis der endlich irgendwann jede einzelne republikanische Stimmt kriegt. Wie verrückt, wenn man von draußen draufguckt. Sollen sie doch den Demokraten nehmen, der jede Fucking Abstimmung gewinnt, das wäre pangalaktisch auch viel besser, aber okay, das wäre zu naheliegend, verstehe.

Egal, ich bin wieder genau so begeistert wie 2005 vom Heidemörder, dieses Mal ist es aber weniger mystisch, man weiß ja, wer die Abweichler sind. Und das ist dann wiederum total faszinierend, ich persönlich bin ja emotional nicht so nah dran an den Republikanern, also könnte man ja Fan sein von den 20 Leuten, die gerade die Partei sprengen, man darf nur nicht weiter recherchieren, sonst lernt man, dass die finden, McCarthy sei nicht rechts genug, deshalb möchten sie ihn nicht wählen, und meine Güte, wie kaputt ist die Welt eigentlich?

8 Gedanken zu „05.01.2023“

  1. Ich biete Elf Durchgänge. Ich konnte nicht erkennen das sich da etwas bewegt hat in Richtung Lösung.

    Um eine absolute Mehrheit zu erlangen, sind 218 Stimmen notwendig. Die Demokraten haben derzeit 212 Stimmen. Eine naive Überlegung wäre, dass 6 gemäßigte Republikaner den Rechtsflügel eine Lektion erteilen könnten, indem sie für die Demokraten stimmen.
    Allerdings wäre dadurch die Karriere bei den Republikanern beendet.

    PS: Das erste Mal C-SPAN (das amerikanische Parlamentsfernsehen) gesehen. Es ist immer interessant, die Gepflogenheiten in anderen Parlamenten zu beobachten.

  2. Ach ja, die Rote Heidi, welch ein Drama. Schade drum, allein schon deshalb, weil sie ein Novum war als Frau auf diesem Posten, eine Landesfürstin.

  3. Diese Frau hatte ein Standing, unglaublich.
    Ich bewundere sie so sehr wie ich auch Rita Süßmuth bewundere.
    Ich glaube, bei solchen Wahlen ist viel Erpessungspotential drin.
    Wer nachgibt, wird gewählt, und das dauert eben, weil Salamitaktik angewendet wird, Scheibchen für Scheibchen,

  4. Die gleichen Gedanken hatte ich auch. Wenn man so lange wählt bis der gewinnt der gewinnen soll was für eine Wahl ist das denn? Dann kann man doch gleich bestimmen. Aber ich glaube ich bin zu doof für Politik.

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