04.10.2023

So, ich gebe bekannt: Die Welt entwickelt sich zurück, ab heute geht alles wieder rückwärts. Wenn wir schnell sind, können wir vielleicht sogar Ulrike Herrmanns Forderung, den herrschenden Kapitalismus durch eine Kriegswirtschaft abzulösen, ich meine, ihr Argument war, dass wir dann eigentlich so leben könnten, wie die Deutschen in den Achtzigern gelebt haben. Wenn sich meine Beobachtung bestätigt, könnte das jetzt schnell gehen.

Von der Einleitung bis zum zweiten Absatz habe ich leider vergessen, wie meine Argumentation genau verlaufen sollte, ich bin ja Impulsbloggerin und wusste entsprechend vor drei Minuten noch nicht, dass ich jetzt etwas verargumentieren müsste. Ich bin nämlich gerade dabei, Sachen abzuarbeiten, die ich ein paar Tage habe liegen lassen, ich muss da Dinge in einer Datenbank kodieren, das ist nervig und stört meinen Tagesablauf, ich mache ja ungern nervige Dinge, aber es muss halt sein, insbesondere in der ersten Woche des Monats. Gehen wir jetzt mal hypothetisch davon aus, dass 600 Datensätze bearbeitet werden mussten, dann ist man schon recht nah an der Realität, ich habe dafür etwa 1,5 Tage gebraucht. Das Arbeitsgerät, das ich seit zwei Jahren dafür benutze, ist ein IPad, so ein großes, das man in Büros hat, denn dann kann ich im Sessel sitzen und mit dem Stift Checkboxen antippen, das ist höchst komfortabel. Vor dem IPad habe ich das am Schreibtisch gemacht, mit Rechner und Bildschirm und Maus, und klar, so ist es gedacht, es dauert aber exakt doppelt so lange. Nun hatte ich also eben 500 von 600 Datensätze fertig, und just in dem Moment, als ich mich auf der Zielgeraden wähnte, war plötzlich die Oberfläche zerschossen, und zwar so, dass ich erst dachte, ich könnte es noch unkomfortabel abschließen, es fehlte aber der Speichern-und-Weiter-Knopf, also hörte ich auf und schrieb eine Email an den Betreiber. Ich kenne den Laden gut, auch von innen, es ist so eine klassische Gruppe von Leuten, die in agiler Entwicklung machen, und zwar – so meine Beobachtung – in erster Linie, weil Standup so Spaß macht. Ich wies also darauf hin, dass die Oberfläche auf dem IPad zerschossen ist, in der Erwartung, dass die Antwort ist „Ja, sorry, wir sind dran, melden uns, wenn alles wieder läuft“, stattdessen kam eine Email mit ungefähr dem folgenden Wortlaut: „Ja, wussten wir nicht, haben gerade unsere geile neue Oberfläche ausgerollt, die wir auch nicht zurücknehmen werden, eine tolle Weiterentwicklung, ist aber alles nur für den Desktop optimiert, Nutzung auf mobilen Geräten ist von unserer Seite nicht vorgesehen, aber wir haben es mal aufgenommen und können uns beim nächsten Sprint mal angucken, was wir machen können.“ Ich war verwirrt, es ist 2023, ich kenne nicht wenige Menschen, die statt eines Laptops ein IPad mit Tastatur haben, das muss ja erlaubt sein, und irgendwie habe ich noch leise im Ohr, dass wir jetzt etwa ein Jahrzehnt lang „mobile first“ gehört haben, und jetzt gehen Systeme aktiv weg von Mobile hin zu Desktop only? Sie sehen mich verwirrt.

Noch verwirrter war ich dann, als ich gerade dann die Desktopversion öffnete, um die letzten 100 Datensätze zu machen, und was soll ich sagen: Es ist exakt genau gleich beschissen wie mobil, nur das der Speichern-und-Weiter-Knopf da ist. Meine Prognose ist die: Ich werde jetzt für die letzten 100 Datensätze dreimal so lange brauchen, wie sonst, und wenn ich die Mauswege verinnerlicht habe, wird es nur noch doppelt so lange dauern, wie sonst. Es sieht auch richtig scheiße aus, aber gut, dann kodiere ich zukünftig halt doppelt so lange. Why not. Die zusätzliche benötigte Zeit kann ich dann damit einsparen, dass ich mich nicht weiter mit den Diskussionen, welche Social-Media-Plattform die allerschlechteste ist, beteilige. Mir selber ist ja schon Sieg genug, dass wir uns darauf geeinigt haben, dass die Plattform, auf der Barbara und Andreas sich tonnenweise Follower:innen kaufen können, um sich dann mit Accounts mit 3 Follower:innen zu battlen, es schon mal nicht mehr ist. Das halte ich immerhin für einen Fortschritt.