Wir sitzen in Schlafanzügen auf dem Sofa, ich bin mitten im Satz, da unterbricht mich Frau N mit hocherhobener Hand und fragt, ob ich schon gebloggt hätte, wir hätten noch 18 Minuten. Ich glaube, ich habe schon gebloggt heute, aber es gibt ja schon wieder ein Event, das jetzt Teil einer Eventreihe ist, und da ich ja jetzt niemanden zum Unterhalten habe – Herr H musste sich Grießbrei kochen, nachdem er unsere Essensfotos gesehen hatte und ist jetzt mit Essen beschäftigt, Frau N bloggt, der Hund liegt verliebt vor ihr, der Kater macht alleine Sachen, also blogge ich über das Krimidinner.
Wir spulen exakt 10 Jahre zurück, da waren wir in Bad Homburg zum Krimidinner, was damit endete, dass ich anschließend auf dem Bürgersteig auf die Frage, aus welchem Grund das jetzt so schlecht war, antwortete „aus allen Gründen“, woraufhin Frau N vor Lachen einfach umfiel, wir erinnern uns gerne an diese Situation, und „aus allen Gründen“ ist seitdem ein sehr beliebtes und oft genutztes Argument. Ich fasse kurz den Abend zusammen: Die Schauspieler:innen waren unglaublich schlecht, das Stück war unglaublich dumm, wir saßen uns an einem sehr langen und breiten Tisch gegenüber und konnten uns nicht unterhalten, neben Frau N saß ein Mann, der sehr ungünstigerweise exakt aussah wie Hitler, hinter ihr saß eine Frau, die sich voll in die Situation geworfen hatte und sich permanent mit der Hand beim Lachen auf den Schenkel schlug, dann wurden Akteur:innen aus dem Publikum akquiriert, ich sollte auch eine Rolle übernehmen, weigerte mich aber, da ungünstigerweise zwei meiner Studentinnen im Raum waren und ich auch keine Lust hatte, und dann musste ein alter Mann einen Arzt spielen, der diagnostizieren sollte, ob jemand tot ist oder nicht, das Opfer war aber als Leiche so unüberzeugend, dass der arme Mann etwas fünf Minuten – und das ist jetzt nicht übertrieben – auf der „Bühne“ stand und immer wieder sagte: „Oh, ob er wohl tot ist? Tja, er könnte tot sein, aber ist er auch tot?“, immer in der Hoffnung, dass die Darsteller:innen ihm signalisieren, ob er den Tod feststellen sollte oder nicht. Egal. Es endete damit, dass er abbrach und sagte: „Ihr müsst mir schon sagen, ob der tot sein soll oder nicht“, die Frau schlug sich auf den Oberschenkel, Hitler nippte am Wein und wir waren einfach durch mit Krimidinner. Wer den Halbtoten jetzt getötet hatte, wurde hinterher auf Stimmzetteln abgestimmt, und die „Auflösung“ des Falls war: „So. 12 Leute haben für X gestimmt, 14 für Y und der Rest für Z, schönen Abend.“
Aus allen Gründen schlecht. Heute also das Krimidinner Revival nach 10 Jahren, mit 4-Gänge-Menü um Steigenberger, und es war: Nett. Die schauspielerische Leistung war voll und ganz angemessen, die Geschichte halt so, wie man das in 3 mal 5 Minuten zwischen den Gängen erzählen kann, jemand war wirklich tot, es gab wieder einen alten Mann, der der Arzt spielen sollte, er war allerdings komplett in seinem Metier und in der Rolle des Arztes sehr gut angekommen, ich denke, ein Lebenstraum wurde wahr. Wir saßen an sehr schönen runden Tischen, in unserem Fall mit zwei Paaren, die beide gerade frisch in der zweiten Beziehung nach der ersten Ehe angekommen waren, sie waren sehr verliebt, erzählten sich gegenseitig den ganzen Abend, wie magisch alles ist, aber sie waren dabei sehr nett und irgendwie auch rührend, ich hatte nur zwischendurch kurz den Impuls, Frau N auch mal heimlich in den Ausschnitt zu packen, einfach nur, um mich tischadäquat zu verhalten. Ich konnte es aber abwenden, wir waren beim Reinkommen schon von irgendeinem Lord geküsst worden, das musste reichen.
Essen war super, Stühle bequem, niemand fasste uns an die Brust, und im Kalender haben wir jetzt einen Eintrag für den 31.12.2032 mit dem Titel „Schreien an der Kirche, danach Krimidinner buchen“. Alle 10 Jahre ist ein guter Rhythmus, und wenn ich das Amüsementlevel im Saal richtig gedeutet habe, wird man mit den Jahren auch unterhaltungsunkritischer.