31.10.2022 – Exkurs Aufregen

Ich habe ja neulich mal als Hobby an einer deutschen Hochschule Medienforschung gelehrt. Wer keine Zeit zu gar nichts hat, sollte allerdings keine Hobbies haben, dabei ist ja immer die Frage, was schlimmer ist: Hobbies mit y zu schreiben, wie man das so im Deutschen erwarten würde, oder Hobbys mit ie schreiben, weil der englische Plural halt so lautet, aber der deutsche doch vielleicht nicht, naja, demnächst sagt jemand „Sie haben doch was mit Sprache studiert“, dann sage ich was mit „normativ ist uninteressant“, und dann ist schon wieder Schlafenszeit, eigentlich wollte ich doch wirklich nur einen Gedanken, den ich eben hatte, pointiert aufschreiben, aber das ist mir wieder nicht gelungen. Schade.

Wenn ich jedenfalls noch Zeit hätte, irgendwo Medienforschung zu lehren, dann würde ich mich jetzt entspannt zurücklehnen und darauf warten, dass die ersten Absolvent:innen auf die gute Idee kommen, mal empirisch zu untersuchen, wieviel öfter Menschen bloggten, als Musk Twitter kaufte. Bei mir gibt es eine klare Kausalbeziehung.

Jedenfalls lief ich eben mit Herrn H durch einen Scheißbaumarkt, ich kann das alles nicht mehr sehen und bin erschüttert, wie viele Einzelschritte noch folgen, wenn man einfach nur eine Wand blau streichen möchte und aus Versehen eine Teil-Kernsanierung anstößt, jedenfalls redete Herr H sich plötzlich vollkommen in Rage und leitete mir dann eine Email weiter. Und dann war ich wirklich für einen Moment nachdenklich. Mein Mann hatte einen Brief geschrieben (er ist ja komplett undigitalisiert, also wirklich komplett, ungooglebar, keine digitalen Aktivitäten, seit einem Jahr liest er Zeitungen auf einem mobilen Endgerät und beschwert sich bei jedem Wort darüber), und zwar an den Parteivorstand der SPD. Er war etwas unzufrieden mit der Entscheidung, gegen den Willen quasi Aller 24,9% der Anteile an der HHLA Containerterminal Tollerort GmbH an eine Tochterfirma der chinesischen Reederei COSCO zu verkaufen und wollte gerne erklärt bekommen, was denn genau der Beweggrund sein könnte, das dann einfach dennoch zu machen, obwohl sechs Fachministerien und die Dienste (mich beeindruckt ja noch am ehesten „die Dienste“) das eine wirklich schlechte Idee finden. Heute hatte er Antwort erhalten, und dann musste ich ja so konzentriert arbeiten, also musste er das mit sich selber austragen, aber im Baumarkt brach es dann aus ihm heraus.

Ich fasse kurz die Antwort zusammen, die offensichtlich eine sehr schlechte Agentur geschrieben hat, mir wäre fast lieber, Christian oder Udo oder wer da in der Geschäftsstelle sitzt, hat das selber geschrieben: Vielen Dank für Ihre interessante Frage, wir wollen natürlich unsere Risiken diversifizieren, Risiko ist halt immer, wissen Sie noch letztes Jahr mit der Ever Given? Das war auch schlimm, wir stellen aber auf jeden Fall sicher, dass immer alles sehr gut und total sicher und absolut perfekt ist, jetzt müssen wir aber erst mal eben den Hafen verkaufen, die Wettbewerbsländer haben ja auch alle verkauft. Dazu eine kurze Frage:

Are you fucking kidding me? Generalsekretär und Kanzler in spe Kühnert hört man dieser Tage ja öfter mit „dem Narrativ“, dass die anderen europäischen Länder ja großes Interesse daran hätten, dass Deutschland keine chinesische Beteiligung hat, damit man einen Wettbewerbsvorteil behält, naja, wenn man das so sehen möchte, kann man das natürlich machen. Ich möchte aber kurz dagegenhalten: Wenn ich es richtig sehe (und vielleicht sehe ich es falsch, ich habe recherchiert wie Precht und Welzer, nämlich in meinem Sessel nachdenkend) ist im Februar diese Zeitenwende passiert, und wir, also alle, auch die Wettbewerber, haben gelernt, wie schlecht das insgesamt betrachtet ist, wenn man abhängig ist von Potentaten. Und wenn ich es richtig sehe, ist die Chance, dass China demnächst einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beginnt, um ein Land zu annektieren, von dem es denkt, es sei seins, gar nicht 0. Wieviel größer als 0 möchte ich gar nicht genau wissen, ich lasse mich von großen Katastrophen gerne überraschen, aber ich denke, es könnte uns eventuell zum Nachteil gereichen, wenn wir einen Teil unserer Infrastruktur in chinesischem Besitz wissen. Und ich habe ein paar sehr kluge Leute um mich rum, ich kenne keine Gegenposition. Andererseits bin ich ja strikt gegen jede Form von Basisdemokratie, wir haben in den letzten drei Jahren doch ein sehr differenziertes Bild von der Basis bekommen, also ist das natürlich nachrangig, was wir alle denken, und ich finde grundsätzlich, wir sind gut beraten, wenn wir Veranwortliche wählen, die dann Dinge entscheiden. Und weil wir ja eine moderne Demokratie sind, gibt es halt viele Leute in Entscheidungpositionen, die gemeinsam auf Entscheidungen hinarbeiten, und dann sagen alle nein, und dann ist ja. Naja. Das ist halt schwer zu kommunizieren, Krisenkommunikation am Limit. (Ever Given, I kid you not!)

Was mich jedenfalls sehr beeindruckte, ist folgender Gedanke: Wenn man jemand ist, der komplett undigital ist, dann regt man sich zwar dennoch auf, aber dann schreibt man einen Brief, und dann regt man sich noch ein bisschen auf, und dann kriegt man eine Antwort, und dann regt man sich noch mal ein bisschen auf, und dann ist gut. Wäre er auf Twitter, hätte er jetzt tagelang alle Diskussionen gelesen, Politiker:innen angepöbelt, sich still und heimlich geärgert, dass er evtl. die gleiche Position vertritt wie der politische Gegner, wobei er ja noch nicht mal einen Gegner hat, aber er fühlt sich ähnlich unwohl wie ich, wenn er liest, dass Friedrich Merz sagt, was er denkt, naja, und dann wäre er tagelang konsumiert gewesen und hätte sich noch viel mehr aufgeregt. Vielleicht kann man manchmal einfach besser einen Brief schreiben.

7 Gedanken zu „31.10.2022 – Exkurs Aufregen“

  1. Ich glaube, wenn ein Papierbrief ankommt, läuft die ganze SPD Geschäftsstelle zusammen.
    Das mit dem Hafen wird der Partei noch ganz schön Probleme machen.
    Etwas entspannter sehe ich es mittlerweile: im Ernstfall kann man immer noch eineignen.

  2. Ich habe ja mal bei der HHLA gearbeitet, auch wenn es schon ein paar Jährchen her ist, dürften sie immer noch so ticken wie früher. China ist einer der ganz großen Kunden. Cosco macht 30% des Umschlags. Das ist natürlich ein gutes Druckmittel, zumal Hamburg immer strampelt, um mit den anderen europäischen Häfen, speziell Rotterdam, mitzuhalten. Um Politik oder Moral (oder Umweltschutz – ich sag nur Elbvertiefung) geht es nicht, einzig um Wachstum, Umschlagszahlen, Kundenbindung. Eine Reederei zu verlieren ist das schlimmste.

    Häfen mit chinesischer Beteiligung wie Piräus legen Rekordwachstum hin, Hamburg ächzt nach Corona und hat ständig Probleme mit der Fahrrinne (Schiffe werden immer größer, Elbe muss ständig ausgebaggert werden). Und dann droht einer der großen Kunden, er könne ja woanders hingehen, wenn er keine Beteiligung bekommt. Das bedeutet Großalarm. Arbeitsplätze, der Hafen als Motor der Hamburger Wirtschaft, Wirtschaftsstandort Hamburg, Wachstum, Umschlag, unser Platz in der Hafenrangliste – alles in Gefahr.
    Die Nähe von HHLA zum Hamburger Senat macht die Beteiligung eben zu einer Entscheidung über die Zukunft Hamburgs (an der Stelle sollte man vielleicht überlegen, ob Hamburg wirklich nur den Hafen als Wirtschaftsfaktor hat bzw. ob es nicht sinnvoll wäre, mehr Standbeine zu haben, aber gut).
    Über die Beziehung von Tschentscher und Scholz kann ich nur spekulieren, aber man kann es sich ja denken. Entweder alte Kumpel oder Tschentscher hat ein Druckmittel. Oder beides.

    Der „Kompromiss“ bedeutet eben, dass der Kunde, Cosco, erstmal (!) bleibt. Alles bleibt so wie es ist, zumindest für 1-2 Jahre, dann wird eh neu über Preise verhandelt. Cosco hat einen Fuß in der Tür und gesehen, wie gut die Drohung wirkt. Ich vermute mal, die halten jetzt erstmal die Füße still – kuck mal, das läuft doch prima mit den Chinesen, die tun gar nichts, haben uns aber x% Zuwachs gebracht. Warum ihnen nicht ein bisschen mehr geben?

    Ich halte das Ganze für sehr gefährlich. Aber mich fragt ja keiner. Und glaubt denn jemand, dass eine CDU-Regierung anders entschieden hätte?

  3. Selbst wenn Cosco das CTT zu 100% übernehmen würde, wären nicht mal 10% der deutschen Containerumschlagskapazität unter chinesischer Kontrolle. Das ist nicht vergleichbar mit 55% Prozent Gasbezug aus Russland und ontop auch noch den größten Gas-Speichern in Deutschland unter russischer Kontrolle. Tatsächlich soll Cosco nun aber nur 24,9% am CTT bekommen, d.h. keine Sperrminorität, kein Co-Geschäftsführerposten für Cosco. Cosco ist da vor allem Finanzinvestor. Generell finde ich chinesische Investments in die hiesige Wirtschaft aktuell schwierig, will auch jede strategische Abhängigkeit vermeiden und bin gegen einen Einstieg von Cosco. Aber ehrlich gesagt fällt es mir in dem Fall schwer, das plausibel mit dem Argument „strategische Abhängigkeit“ zu begründen.

    Ansonsten sollten wir meines Erachtens auch aufhören, bezüglich strategischer Abhängigkeiten so ausgeprägt zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Also Freunde dürfen hier alles an strategischer Infrastruktur kaufen und Feinde nichts. Weil heutige Freunde in 10 Jahren unsere Feinde sein können, sollten wir generell strategische Infrastruktur unter eigener Kontrolle halten.

    Die Privatisierung der Stromnetze halte ich generell für einen großen Fehler, weil dabei eben zwangsweise Monopole entstehen und Monopole regeln nichts besser als der Staat. Bei den Stromübertragungsnetzen haben wir in Deutschland heute 4 Anbieter mit jeweils regionalem Monopol. Der größte Stromübertragungsnetzbetreiber in Deutschland ist Tennet und gehört zu 100% einem anderen EU-Land (dem niederländischen Finanzministerium). Klar: Das sind heute unsere Freunde. Aber vor 10 Jahren hätten wohl die meisten felsenfest ausgeschlossen, dass in den USA ein Trump gewählt werden kann, dass UK aus der EU austritt, das Polen einen massiven Anti-Deutschland-Kurs vertritt, das Italien von Neo-Faschisten regiert wird, das Putins Russland die komplette Ukraine in die Steinzeit bomben will. Was können wir wirklich für z.B. die Niederlande und andere heutige Freunde zukünftig ausschließen?

    Gazprom hatte nie die Macht, für einen sofortigen Gas-Blackout in Deutschland zu sorgen. Tennet hat die Macht, jederzeit für einen sofortigen Strom-Blackout in ganz Deutschland zu sorgen. Selbst bei einer Zwangsenteignung würde es ggf. Monate dauern, bis man im Zweifelsfall alle softwareseitigen Fernsteuerungszugänge für das Netz abgedichtet hätte.

  4. Ja, verstehe ich alles, will ich auch gar nicht widersprechen. Seine Hauptfrage bezieht sich eher darauf, wie so eine politische Meinungsfindung denn stattfindet, wenn Fachministerien und Dienste sich einheitlich dagegen aussprechen. Das ist meines Erachtens ein Vorgang, der gut erklärt werden sollte, und da kann die Begründung nicht sein, dass es ja auch schlecht für Deutschland ist, wenn jemand einen Penis mit einem Schiff nachzeichnet und anschließend im Suezkanal hängenbleibt.

  5. ich finde schreiben auch prima, da bekomme ich antworten und bewahre die briefe auf. ich freue mich gerade über den bahnhofumbau in stuttgart, der sehr viel teurer wird. dazu habe ich einen brief unseres ehemaligen bw-finanzministers, dass die mehrkosten die db bezahlen sollte. gegebenenfalls schicke ich ihm eine kopie, werde aber natürlich keine erklärung erhalten. es geht nichts über papier, in dunklen schubladen bewahrt. lieben gruß, roswitha

    • Oh, Roswitha, das ist spannend!
      Ich habe seinerzeit (als der Volksentscheid zum Bahnhof Stuttgart anstand), auch Briefe geschrieben und Antworten erhalten: an den Landkreis Böblingen und an den Bürgermeister der Gemeinde Bondorf, 30km von Stuttgart entfernt, noch am Rande des Stuttgarter Speckgürtels. Es ging um die Kosten und den Beitrag der Gemeinde/des Landkreises. Damals wurde recht ehrlich geantwortet, was und wer bezahlen soll. Diejenigen, die gewählt haben, haben das wahrscheinlich alles nicht gewusst. Ja, egal…ich wäre ja eine große Befürworterin für persönliche Haftung, auch bei PolitikerINNEN, wenn sie entscheiden.
      Auf jeden Fall herzliche Grüße an Herrn Herzbruch unbekannterweise, keep on Briefeschreibing! I feel you, um es neudeutsch zu sagen!
      Eva

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