15.06.2022

Gerade habe ich die Pfarrersfrau verabschiedet. Zwei Stunden standen wir in meinem Wohnzimmer. Sie hatte mir Fußballschuhe vorbeigebracht.

Es sind die kleinen Dinge, die uns für einen kurzen Moment zusammenzucken lassen, weil wir denken, jetzt seien alle endgültig verrückt geworden, aber die drei Sätze da oben haben alle ihre Berechtigung. Und das kam so.

Wir sind ja der Kirche sehr fern. Also so fern, wie man sein kann, wenn die halbe Familie aus Kirchenbeamten besteht. Für mich ist Religion eine recht einfache Angelegenheit: Zu Lebzeiten möchte ich mich nicht damit beschäftigen. Ich bin in der Wissenschaft sozialisiert, ich bin seit vielen Jahren darauf getrimmt, Fragen zu erfinden und die Antwort darauf gleich mit. Fragen, die nicht beantwortet werden können, gibt es viele, und naja, die darf dann jemand anderes sich stellen. Um die wichtigste Regel – always cover your ass – zu beachten, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich besser zu Lebzeiten allerdings nicht mache, was mich hinterher an der Himmelspforte in die Bredouille bringen könnte, und da ich finde, dass ein Großteil der christlichen Mantras, ach nee, Gebote, auch für ein völlig religionsfremdes Zusammenleben durchaus sinnstiftend sind, töte und stehle ich nicht. Meine Theorie ist, ich hatte das schon mehrfach erwähnt, dass – sollte es Gott geben, was mich jetzt halt nicht interessiert, allerdings sogar so wenig, dass ich es nicht einmal abstreiten würde – dann hoffe ich einfach mal, dass er kein Arschloch ist, so heißt es zumindest bei den Evangelen, und dann wird er an der Himmelspforte vermutlich so was sagen wie „Okay, du hast keine Steuern gezahlt, das war doof, aber – Moment, ich gucke kurz – ah ja, gespendet, gut, und nicht gemordet, nicht gestohlen, sehr gut, oh, was sehe ich hier“ und dann sage ich „Oh, schon so spät? Und was für eine tolle Brille, gibt es die hier im Himmel?“ und dann lachen wir, und dann darf ich rein. So stelle ich mir das vor. Sollte Gott existieren und doch ein Arschloch sein, dann ist es auch einfach: Ich befasse mich ja nicht mit doofen Leuten, also werde ich ihn ignorieren, und wenn er so allgegenwärtig ist, dass die Taktik im Himmel nicht funktioniert, dann werde ich ein sehr unentspanntes Afterlife habe, ich kenne kein deutsches gutes Wort, aber dann möchte ich mich auch wirklich nicht jetzt schon damit beschäftigen, dass tot alles doof sein wird, ich arbeite ja noch am Leben.

Jedenfalls habe ich ja nun dieses Kind, und ganz zum Leidwesen seiner Tanten ist es in einem sehr säkulären Haushalt aufgewachsen. Vermutlich kann Jonathan Ihnen das gesamte Kabinett Scholz aufsagen, aber ob er auch nur drei Gebote zusammenkriegt, dafür würde ich keine Hand ins Feuer legen. Nun ist allerdings Pubertät, und eine Kombination aus 1) Suche nach Identität, 2) Hoffnung auf eine gute Party und 3) gutes Zureden der Tanten haben ihn, der neulich noch so erleuchtet morgens aufstand und sagte: „Weißt du, was mir aufgefallen ist? Die Bibel ist wie der Herr der Ringe, eine wirklich gute Geschichte, aber manchmal etwas lang“ entscheiden lassen, dass er gerne konfirmiert werden möchte. Meinen Segen hat er, er soll das dann nur auch ernsthaft verfolgen und ja, das wollte er dann. Aus einer distanzierten, nicht-religiösen Perspektive, aber wenn er seine Erfüllung in der evangelischen Kirche finden würde: Hurra, dann hätte ich höchstens wieder Religionsneid, ich selber muss ja jetzt einen Töpferkurs machen.

Heute ist jedenfalls die Konfigruppe zum Teambuilding für fünf Tage auf eine Walderlebnisfahrt abgereist, allerdings ohne mein Kind, das lag nämlich drei Tage lang krank im Bett. Nun ist es fast gesundet, morgen früh um 6.45 Uhr setzen wir uns ins Auto und fahren ihn nach Ostwestfalen, hurra, wer muss schon ausschlafen, und dann schellte eben mein Telefon, der Pfarrer war dran, er habe seine Fußballschuhe vergessen, ob seine Frau die eben vorbeibringen könnte, nun wohnt er nur drei Minuten von uns, also kam dann die Pfarrersfrau und brachte die Fußballschuhe, dann sprachen wir über Kirche, und dann schrieb ich diesen Blogeintrag, und jetzt muss ich schlafen, nach Ostwestfalen fährt es sich ja nicht von selbst um 6.45 Uhr.

6 Gedanken zu „15.06.2022“

  1. Ebenfalls kirchlich sozialisiert, wie ich bin, wünsche ich einfach viel Segen – und jetzt erst mal viel Spaß beim Konfi-Wochenende!

  2. Oh, nach OWL fährt er, das weckt meine Neugier. Verraten Sie mir den Ort? Liebe Grüße aus Bielefeld.

  3. Oh, nach OWL fährt er, das weckt meine Neugier. Verraten Sie mir den Ort? Liebe Grüße aus Bielefeld.

  4. Podcastempfehlung für den Sohn: die Kack- und Sachgeschichten haben in ihrem Premiumkanal (steady, 3 €) eine Reihe „Holy Shit“, wo sie die Bibel besprechen „als wär sie ein Marvelfilm oder Herr der Ringe“. Sehr lustig und auch tiefgründig, der Gott des AT wird auch gern mal als Arschloch bezeichnet.

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